0355 - Die Bande der Nachzehrer
Tümpel waren von hauchdünnen Dunststreifen überlagert. Gewisse Sinnesorgane waren in den Lachen nicht mehr zu erkennen. Die Nachzehrer hatten sich bis auf die schleimige Masse völlig aufgelöst.
Zum erstenmal sah ich auch Polizisten. Ihre Helme glänzten, wie mit Lack eingerieben.
»Verdammt«, sagte ich zu Karl. »Die sollen mir hier keine langen Fragen stellen. Können Sie mir die vom Leib halten?«
»Ich will es versuchen.«
Dazu sollte es nicht kommen. Wir alle hörten das Geschrei des rennenden Mannes.
Mich hielt nichts mehr im Standkarree. Ich rammte die niedrige Tür auf, drückte dabei noch einige Leute zur Seite und war draußen.
Mein Blick wurde besser.
Der Mann rannte torkelnd auf uns zu. Alle standen da und starrten ihn an, auch die beiden Polizisten.
Ich allein handelte und lief ihm entgegen. Auf dem Weg zu ihm erkannte ich ihn bereits.
Es war der Mann, der die beiden Kinder mit den verschiedenfarbigen Pudelmützen bei sich gehabt hatte. Jetzt waren die Kinder nicht mehr da, und in mir stieg ein schrecklicher Verdacht hoch.
Wir prallten zusammen. Der Mann schrie noch immer. Ich schlug meine Hände in seine Jacke und brüllte ihn an. »Was ist geschehen?«
»Die Kinder… die Kinder!«
»Wo? Was?«
»Er hat sie geholt! Ich konnte nichts machen…«
»Und wo?«
»Am Waldrand… da … da ist er hin!«
Ich ließ den Mann los, drehte mich und rannte stolpernd, wie von Furien gehetzt, meinem neuen Ziel entgegen…
***
Marek verfluchte den Tritt des gefesselten Stani. Er hatte ihn härter erwischt, als er John Sinclair gegenüber hatte zugeben wollen, deshalb war der Pfähler in seinen Aktivitäten auch so behindert. Das hieß im Klartext: Er konnte schlecht laufen und zog das linke Bein nach.
Alle, die die Schreie vernommen hatten, eilten dorthin, wo sie aufgeklungen waren. Es gab keinen unter den Besuchern, der Marek nicht überholte. Auch Kinder waren dabei.
Die Besucher liefen in die Richtung, wo der Markt endete und der dichte Wald begann. Daß sie nicht zwischen den Bäumen verschwinden würden, war Marek schon klar, nur, wo wollten sie hin?
Auch er blieb auf dem Weg und passierte die schmalen Gassen zwischen den Ständen.
Aus einer dieser Gassen kam ein Mann. Er war nicht allein. Zwei Kinder befanden sich an seinen Händen. Sie wollten woanders hin als er, beschwerten sich lautstark und rissen sich plötzlich los.
Sie rannten einfach weg.
Konsterniert blieb der Vater stehen. Er rief die Namen, er machte ihnen klar, daß sie zurückkommen sollten und wollte ihnen folgen, da hatte der dichte Schneevorhang die kleinen Gestalten schon verschluckt.
Marek passierte den Mann. Er hörte den anderen schimpfen, lief weiter und erkannte das Schreckliche.
Auf einmal war die riesige Ghoulgestalt da, stand vor den beiden flüchtenden Kindern wie eine Wand und breitete ihre langen, affenartigen Arme aus, so daß die Kleinen nicht vorbei konnten.
Dann griff er zu.
Marek war stehengeblieben, hatte seine Pistole gezogen und konnte doch nicht schießen, weil er Angst hatte, eines der Kinder zu treffen. Er wußte ja, was geschehen war, der Vater nicht.
Dieser stand konsterniert auf der Stelle, wollte etwas sagen und wurde von Marek angebrüllt.
In drei Sätzen erklärte der Pfähler dem anderen, was er zu tun hatte und daß er Hilfe holen sollte. Er sagte ihm auch den Namen John Sinclair. Sogar zweimal.
Dann ging er weg.
Ohne sich noch einmal umzudrehen, nahm der alte Marek humpelnd die Verfolgung des Nachzehrers auf. Auch wenn der fallende Schnee ihn getäuscht haben sollte, die Gestalt der Bestie war größer als die der anderen gewesen, so ging Marek davon aus, daß er Zirka, den Anführer dieser widerlichen Dämonenabart, gesehen hatte.
Es schien so, als hätte der Himmel plötzlich ein Einsehen, denn der Schnee wurde weniger. Dafür verbesserte sich die Sicht.
Der Lampenschein spiegelte sich auf der weißen Fläche, machte die Umgebung des Weihnachtsmarktes noch heller, und Marek glaubte, in der Ferne Schatten über den weißen Boden tanzen zu sehen.
Der Nachzehrer mit den Kindern!
Gegen den steifen Wind stemmte sich der Pfähler an. Er würde nicht aufgeben, er mußte der Bestie auf den Fersen bleiben, deren Spuren sich deutlich im Schnee abzeichneten, so daß Marek sie auch am Wald nicht verlieren würde.
Den Ort des anderen Überfalls hatte er längst passiert. Sein Atem ging schwer und keuchend. In unregelmäßigen Intervallen erschienen die Dampfwolken vor seinen Lippen,
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