0355 - Die Bande der Nachzehrer
er den Friedhof von unten her aushöhlte und Gänge sowie Stollen grub?«
»Ja, das tat er.«
»Und dann?«
»Kam er an die Leichen heran. Nur das hatte er gewollt. Er wußte ja, daß seine Sippe magisch beeinflußbar war, und der Legende nach soll er eine besondere Methode angewendet haben, um seine Sippenmitglieder am Leben zu erhalten.«
»Welche?«
Marek beugte sich vor. Die nächste Antwort sollte niemand der anderen Gäste mitbekommen. »Dieser Übriggebliebene rieb die Körper der Toten mit einer besonderen Masse ein, mit Leichenfett! Hast du verstanden, John? Leichenfett.«
Ich nickte. »Klar, das habe ich gehört. Nur weiß ich nicht, was das Leichenfett mit den Nachzehrern zu tun hat?«
Marek lehnte sich wieder zurück. »Das kann ich dir sagen. Es ist ein besonderes Fett gewesen, von einer besonderen Haut, die Jahrhunderte überstanden hat.«
Ich lächelte. »Mach’s nicht so spannend. Von wem stammt das komische Fett.«
Mein Lächeln erstarb, als ich Mareks Antwort vernahm. »Dieses Fett stammt von der Haut eines alten Freundes von dir, John. Kannst du dich noch an den Namen Xorron erinnern?«
***
Ich saß plötzlich still da und war auch sehr ruhig geworden, während aus meinem Gesicht allmählich die Farbe wich.
»Xorron?«
»Genau, John, du hast dich nicht verhört.«
»Aber der ist vernichtet.«
»Klar. Nur war er der Herr der Zombies, Ghouls und Nachzehrer, wie du sicherlich weißt.«
»Natürlich.« Ich nickte heftig. »Trotzdem komme ich nicht ganz mit. Wie sind diese Zigeuner in den Besitz des Leichenfetts gelangt. Und was ist das überhaupt?«
»Ein Rest von Xorrons Haut.«
»Ich habe nie gesehen, daß er eine Stelle an seinem Körper besaß, wo etwas fehlte, wenn ich das mal so ausdrücken darf.«
»Das kann sich ja nachgebildet haben.«
Ich gab Marek recht. »Also, Frantisek, kein Widerspruch mehr von meiner Seite. Ich gehe davon aus, daß der Kerl, der übriggeblieben ist, sich von Xorrons Haut etwas besorgt hat und mit diesem Fett in die unterirdischen Gänge des Friedhofs gekrochen ist.«
»Ja.«
»Was hat er dort getan?«
»Die Leichen eingerieben, John. Das sagte ich schon. Willst du das nicht begreifen?«
»Ich denke über den Sinn nach!«
»Der liegt auf der Hand. Denk an Xorrons Haut. War sie im Prinzip nicht unüberwindlich?«
»Stimmt.«
»Dann wird sich diese Kraft auch auf die Toten der Zigeunersippe übertragen haben.«
»Und daran glaubst du?«
Marek nickte. Er stoppte seine Bewegung, als der Wirt kam und meinen Tee brachte. Während ich umrührte, berichtete der Pfähler weiter. »Ich sage dir jetzt, was man sich der Legende nach erzählt. Dieser Mann ist in die Gräber geklettert und hat die Verstorbenen mit Xorrons Fett eingerieben. Und ich habe auch vernommen, daß die Menschen, die damals begraben worden sind, nur scheintot waren.«
Ich holte den Löffel aus dem Glas und legte ihn auf den kleinen Untersatz. »Rede weiter.«
»Wenn sie nur scheintot waren, sind sie bestimmt in der Lage gewesen, irgendwann wieder zu erwachen. Und zwar nicht mehr als Menschen, sondern als Nachzehrer.«
»Warum erst jetzt?«
»Vielleicht deshalb, weil der Platz wieder von einem Markt besetzt worden ist.«
»Ein schwaches Motiv«, erwiderte ich. »Es kann aber möglich sein. Und du hast schon einen oder mehrere Nachzehrer gesehen?«
Die Antwort kam, als ich trank. »Ja, ich habe sogar eine Frau vor ihnen gerettet.«
»Warst du bei den Gräbern? Ich meine unter der Oberfläche?«
Marek schüttelte den Kopf.
»Und weshalb nicht?«
»John, du kennst mich. Ich bin kein Angsthase, aber ich habe mich davor gefürchtet, das Labyrinth der Gräber zu betreten. Meine Angst ist einfach zu groß gewesen. Kannst du dir das vorstellen? Ich fürchte mich vor keinem Vampir, ich gehe des Nachts über verfluchte Friedhöfe. Denk an unseren letzten gemeinsamen Fall in Petrila, als du gezwungen wurdest, Lady X wieder auszugraben, aber das hier war mir zu riskant. Ich bin kein Selbstmörder, John, und möchte, wenn eben möglich, noch einige Jahre leben.«
»Das ist legitim«, lächelte ich.
»Außerdem habe ich damit gerechnet, daß du Suko mitgebracht hättest.«
»Er konnte nicht.«
»Ist er krank?«
»Nein.« Ich berichtete in knappen Sätzen, was mein Partner zuletzt erlebt hatte, und Marek geriet ins Staunen. Wir redeten nicht weiter über diesen Schnee von gestern, sondern kamen allmählich dazu, uns einen Plan zurechtzulegen.
»Du hast also vor, mich in die Gräber
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