0355 - Monster aus dem Mörderwald
Vassago beobachteten sie das Geschehen.
Leonardo deMontagne beugte sich fasziniert vor. Seine Hände umklammerten die Lehnen seines aus Menschenknochen erbauten Thrones, als wollten sie sie zerbrechen. Zamorra, sein Feind! Und in einer aussichtslosen Situation! Diesen Schlag konnte er nicht überleben. Er würde wie alle anderen im Dorf sterben.
Und das alles war das Werk von Eysenbeiß.
Glühender Zorn tobte in Leonardo. Eysenbeiß würde gelingen, was er, Leonardo, seit einer kleinen Ewigkeit vergeblich versuchte. Er würde Zamorra vernichten, den größten Feind der Höllenmächte.
Ausgerechnet Eysenbeiß!
Leonardo gönnte ihm den Erfolg absolut nicht. Er hätte sich gewünscht, daß Eysenbeiß eine vernichtende Niederlage hinnehmen mußte. Aber er konnte nichts unternehmen. Er konnte nicht in das Geschehen eingreifen, ohne sich als Verräter bloßzustellen. Er mußte in diesem Moment das Interesse der Schwarzen Macht über sein eigenes stellen, Eysenbeiß eine Niederlage beizubringen. Denn Eysenbeiß war im Rang über Leonardo.
»Es ist das erste Mal«, knirschte Leonardo so leise, daß nur sein Leibwächter und Berater Wang Lee Chan es vernahm, »daß ich Zamorra einen Erfolg wünsche…«
Wang starrte mit brennenden Augen auf die spiegelnde Wasseroberfläche, die das Geschehen in Gresanne zeigte. Er sah Zamorra, den fairsten Gegner, mit dem er es jemals zu tun gehabt hatte. Und auch er wünschte sich, daß Zamorra irgend einen Weg fand, zu überleben. Er hätte es lieber gesehen, wenn jemand den Parapsychologen im fairen Kampf erschlug. Aber nicht so, mit einer Übermacht von entarteten Tieren und Pflanzen, die allein durch ihre Masse alles Leben vernichten würden, das nicht so war wie sie.
Und nicht nur Wang und Leonardo fragten sich, wie Eysenbeiß das zustandebekommen hatte, der doch nur ein Mensch war, kein Dämon mit so starken übersinnlichen Kräften. Daß ein Dämon gestorben war, um die Pflanzen entarten zu lassen, und daß ein Amulett mit im Spiel war, ahnten sie nicht einmal.
***
Astaroth teilte zwar Leonardos Bedenken, was ein Sabotieren von Eysenbeißens Aktion anging, aber er dachte in diesem Moment nicht von Haß, Enttäuschung und Zorn geleitet wie der Fürst der Finsternis. Leonardos wilde Wut war verständlich, weil Eysenbeiß an ihm vorbei seine Karriere gemacht hatte und vom Berater des Fürsten zu dessen Vorgesetztem aufgestiegen war. Und das, obgleich eigentlich Leonardo deMontagne diesen Thron direkt unter dem Schatten LUZIFERS angestrebt hatte.
Aber dieser blinde Zorn vernebelte dem Fürsten der Finsternis den Verstand und das klare Denkvermögen. Astaroth sah das schon wesentlich ruhiger.
Wenn man eingriff, mußte man das ja nicht mit einem Paukenschlag tun. Ein ganz dezentes Vorgehen würde ebenso reichen.
Und Astaroth benutzte den Spiegel des Vassago , um im rechten Augenblick nicht nur zu beobachten, sondern auch unerkannt einzugreifen.
Eine unsichtbare Hand teilte die Wellen des Flusses, berührte den Dhyarra-Kristall und zuckte nur einmal kurz zurück, weil dieser noch aktiviert war. Doch der Besitzer dieser Hand, der aus Höllentiefen Zugriff, war selbst stark genug, den Kristall zweiter Ordnung zu beherrschen.
Er legte ihn deutlich sichtbar am Ufer ab und zog sich dann wieder zurück.
Keiner der anderen Dämonen und auch nicht Eysenbeiß waren aufmerksam geworden. Ihr ganzes Interesse galt dem Geschehen im Dorf selbst. Für den Fluß zeigte niemand auch nur geringes Interesse.
Astaroths Handlung war nicht bemerkt worden.
Aber sie sollte Folgen zeigen.
***
Zamorra und Nicole hatten sich mit einem Großteil der anderen Flüchtenden in eines der noch am stabilsten aussehenden Häuser zurückgezogen. Die Fensterläden knirschen und knackten unter dem Druck der dagegen anrennenden Bäume. Den Zugang ins Haus hatten sie sich mit dem Amulett erkämpfen müssen; der Preis dafür war entsprechend hoch. Vorher hatte Zamorra noch die Türen einiger anderer Häuser freigekämpft, in denen die anderen Menschen unterkamen.
Jetzt drängte sich hier alles. Draußen wuchsen weitere Bäume heran, die versuchten, die Häuser wie Nußschalen aufzuknacken, und in den Straßen huschten die Monstren hin und her, über den Dächern schwirrten gigantische Vögelschwärme Jeder wußte: wenn sie gezwungen wurden, ins Freie zu gehen, waren sie verloren. Die Tierbestien und die Insekten, die Vögel und die Bäume würden sie vernichten. Aber wenn es den Bäumen gelang, Türen und
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