0357 - Die Treppe der Qualen
Gefühl ausgebreitet, ich spürte in meinem Kopf die dumpfen Hammerschläge, und das Brausen des Windes wurde für mich zu einem regelrechten Inferno, in das ich immer tiefer hineintauchte.
Bis zum Ende?
Wann würde es kommen? Wann würde ich diesen unheimlichen Schlag verspüren, der alles Leben auslöschte?
Ich wußte es nicht. Ich wußte nur, daß die Zeit schnell verrann und mir dennoch so langsam vorkam.
Der Schlag!
Ich spürte ihn, ich brüllte, ich hatte den Mund so weit aufgerissen, daß die Kiefer sich fast verrenkten, und wie in Trance hielt ich die Planke umklammert, als wäre sie mein letzter Rettungsanker.
Jetzt mußte doch alles vorbei sein!
Das war es nicht.
Ich hatte den ersten Schlag überstanden, auch den zweiten, der mich durchschüttelte, und mir gelang es, einen Arm auszustrecken und mich irgendwo festzuklammern.
Ich spürte dabei zwischen den Fingern ein seltsames Fell oder eine Haut. Gleichzeitig wurden meine Hände auch von etwas Weichem gestreichelt, das trotzdem einen gewissen Widerstand besaß, so daß ich plötzlich wußte, was mir da gewissermaßen als Rettungsanker zwischen die Hand geraten war.
Das Gefieder des Adlers.
Garuda war im letzten Augenblick gekommen und hatte meinen Fall abfangen können.
Aber was war mit Shao?
Selbst in dieser Situation mußte ich an sie denken, da sie mit mir zusammen vom Dach gefallen und in die Tiefe gerast war.
Da ich bäuchlings auf dem starken Rücken des Adlers lag, die Gefahr einigermaßen gebannt war und zudem der Fall nicht mehr so rasend vollzogen wurde, gelang es mir, nach vorn zu blicken.
Trotz der tränennassen Augen sah ich Shao.
Sie war gerettet worden.
In der Nähe des Kopfes pendelte sie, wurde vom Schnabel des mythischen Vogels gehalten und hatte einen Arm um den Hals geklammert. So blieb sie relativ sicher.
Natürlich hatte ich zahlreiche Fragen, aber es war nicht der richtige Ort und Zeitpunkt, sie jetzt zu stellen. Allein unsere Rettung zählte, und da hatte sich Garuda als der wahre Meister erwiesen, denn er schaffte uns durch die Straßenschluchten, um anschließend wieder in die Höhe zu steigen, damit er auf einem Dach und fern menschlicher Blicke landen konnte.
Das geschah.
Ich war verwundert, daß wir gerade auf dem Dach unseren Platz fanden, von dem wir gefallen waren. Kaum stand ich mit zitternden Knien, als ich mich auch schon drehte und dorthin blickte, wo sich die gefährlichen Killerschlangen konzentriert hatten.
Dort sah ich nichts mehr von ihnen. Keine einzige Schlange ringelte über den grauen Dachboden.
Diese Tatsache überstieg mein Fassungsvermögen. Mit einer entsprechenden Frage allerdings hielt ich mich zurück, weil ich zunächst sehen wollte, wie Garuda reagierte.
Auch Shao stand auf dem Boden. In ihrem Gesicht las ich den Unglauben. Sie konnte es nicht fassen, daß sie diese höllische Reise in die Tiefe hinter sich hatte, und ich sah ihr an, daß sie dicht vor einem Zusammenbruch stand.
So weit wollte ich es nicht kommen lassen. Bevor ihre Knie nachgaben, sprang ich hinzu, stützte Shao ab, und sie fiel in meine Arme, während Garuda, der menschenähnliche Adler, uns zuschaute.
Ich drückte Shao so gegen meine Schulter, damit sie den Adler nicht anzublicken brauchte. Ich richtete meinen Blick auf ihn, und er wußte in meinen Augen die Frage gelesen haben, denn er begann damit, mich anzusprechen.
»Ich mußte so lange warten, um euch zu retten«, erklärte er mir.
»Ich jedenfalls hatte bereits mit meinem Leben abgeschlossen. Hast du inzwischen die Schlangen vernichtet?« wollte ich wissen.
»Ja, ich trieb sie zurück.«
Es war für mich nach wie vor ein Phänomen, daß ich mit dieser Gestalt reden konnte und stellte die nächste Frage. »Aus welchem Grunde hast du sie nicht vorher getötet. Du hättest Shao und mir viel Aufregung ersparen können.«
»Ich wollte erst sichergehen.«
»Wobei?«
»Es geht um das Bild. Noch immer befinden sich Reste der Kraft des gefährlichen Fratzengesichts darin. Diese haben sich konzentriert und sind so stark geworden, daß sie die Schlangen herbeiholten. Sie wollten dich daran hindern, einen Rettungsversuch zu unternehmen. Aus diesem Grund hielt ich mich zurück.«
Ich mußte ihm diese Antwort abnehmen, obwohl sie mich nicht befriedigt hatte. »Jetzt ist die Gefahr vorbei – oder?«
»Zumindest der erste Ansturm.«
Ich grinste schief. »Wann kann ich mit dem zweiten rechnen?«
»Hier nicht mehr.«
»Wo dann?«
Er gab mir keine direkte
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