0359 - Die Teufelsvögel von Bombay
Überrascht fragte sie sich, warum sie diesen Fackelschein vorher nicht gesehen hatte. Sie trat zurück in den Hauptgang und befand sich wieder im Finstern!
Plötzlich wurde ihr klar, warum sie zu dritt vorher keinen Ausgang gefunden hatten. Es gab bestimmt mehrere Quergänge. Aber eine teuflische Magie, eine Illusion verhinderte, daß man sie sah. So konnte man natürlich auch Gefangene festhalten! Man täuschte ihnen eine massive Wand vor, hinter der sich in Wirklichkeit eine Öffnung verbarg… Und keiner von ihnen war auf die Idee gekommen, die Wände nach verborgenen Öffnungen oder Geheimtüren abzutasten, weil es offenbar keinen Grund dafür gab. Sie alle hatten angenommen, daß das Labyrinth an sich schon jeden Flüchtling verwirren mußte.
Nur jetzt, da sie nicht von ihren Augen hatte getäuscht werden können und da sie nichts auf dem Leibe trug, hatte sie den schwachen Luftzug feststellen können! So erniedrigend es gewesen war - in diesem Moment war sie für ein paar Sekunden fast froh, daß man ihr die Kleider vom Leib gefetzt hatte. Ansonsten wäre sie kaum so feinfühlig gewesen…
Da war Fackelschein hinter ihr im Gang.
Die Verfolger kamen!
Panik erfaßte sie. Die Schlangen-Menschen würden sie umbringen. Sie durften Bianca nicht entkommen lassen. Wenn sie es schaffte, in die Zivilisation zurückzukehren und von dem Vorfall zu berichten, würden Polizei und Militär diese unterirdischen Tempelanlagen förmlich ausräuchern! Kulte und Sekten, die Menschenopfer brachten oder auf sonstige Weise mordeten, waren auch in Indien nicht geduldet.
Wenigstens nicht offiziell…
Sie rannte in den Quergang. Wo die Fackel hing, begann eine Treppe, die nach oben führte. Entschlossen riß Bianca die Fackel aus der Halterung und nahm sie mit. Die Verfolger würden sich davon zwar nicht aufhalten lassen, da sie selbst Fackeln besaßen, aber wenn Bianca noch einmal in eine »Dunkelzone« geriet, würde sie nicht hilflos tasten müssen.
Sie jagte die Treppe hinauf, jeweils zwei Stufen auf einmal. Absatz, Treppe, Absatz, Treppe… wie tief unter der Erde befanden sich diese Anlagen?
Sie wurde kurzatmig.
Hinter sich hörte sie immer noch die Verfolger. Sie wußten selbstverständlich von der täuschenden Schein-Wand und drangen bereits in den Seitengang ein. Das Entsetzen wollte Bianca lähmen, aber sie zwang sich dazu, weiterzustürmen. Sie durfte den Mördern nicht wieder in die Hände fallen. Sie wollte doch leben, weiterleben!
Auch wenn sie für Augenblicke geglaubt hatte, es nicht mehr zu können, nachdem Dan Ferguson auf dem Altar zum Schlangen-Monstrum gemacht worden war…
Weiter… weiter… da hörte die Treppe auf. Übergangslos stand Bianca in einem kleinen Raum, der keinen Ausgang zu haben schien. Wieder einmal…
Warum sollten die Unheimlichen so närrisch sein, eine Treppe in einem geschlossenen Raum enden zu lassen?
Blitzschnell rannte Bianca an den Wänden entlang, tastete sie ab nach einem Durchgang.
Doch es gab diesmal wirklich keinen…
***
Magnus Friedensreich Eysenbeiß hielt die Messing-Schlange in seiner Hand. Sie maß etwa einen Meter Länge und ließ sich, obgleich metallisch, bequem zusammenrollen. Sie war ein verkleinertes Abbild des Dämons Ssacah. Ssacah hatte einst unzählige dieser Ableger verteilt. An jeder Kultstätte, wo seine Diener wirkten, befand sich so eine Miniatur-Kobra. Die Ableger besaßen unterschiedliche Größen. Aber eines hatten sie alle gemeinsam: sie waren teuflisch lebendig. Sie vermochten Menschen zu beißen und damit zu töten, und die Toten wurden zu Zombies, zu Untoten, die sich in Schlangen verwandeln konnten, während die Ssacah-Ableger deren einstige Lebenskraft aufsogen und an ihren dämonischen Herrn Weitergaben. So war Ssacah immer wieder an Lebenskraft gekommen, und je größer sein Kult wurde, desto mehr Angehörige er zählte, desto stärker hatte auch Ssacah werden können.
Mit Ssacahs Tod war das anders geworden. Die meisten Ableger waren verkümmert, gestorben, weil sie selbst auch für ihre magischen Aktionen, zu denen sie fähig waren, Kraft brauchten, die aber nicht erneuert werden konnte. Denn diese Kraft wiederum strömte ihnen von Ssacah zu.
Die Schlangen, die Mansur Panshurab jetzt noch besaß, erneuerten ihre Kraft nur mühsam - immerhin gelang es ihnen, weil sie jetzt im magischen Wechselspiel die Lebensenergie ihrer Opfer nicht mehr an Ssacah weiterzugeben brauchten. Sie konnten sie selbst sammeln und speichern, aber nur einen
Weitere Kostenlose Bücher