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036 - Die Hand des Würgers

036 - Die Hand des Würgers

Titel: 036 - Die Hand des Würgers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurice Limat
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dem Schlaf gerissen worden zu sein.
    Sie war sofort in das Zimmer ihrer Schwiegertochter gelaufen, hatte das Bett leer und das Fenster weit offen vorgefunden, und auch die Tür war weit geöffnet.
    Doch nun erkannte sie im Mondschein den klaren Umriß der zarten Gestalt im Garten. Sie sah wie ein verängstigtes Phantom aus.
    „Corinne!“ rief sie wieder.
    Corinne tat einen Schritt auf sie zu, aber dann schienen ihre Kräfte sie völlig zu verlassen.
    „Ah, Mutter!“ rief sie schluchzend. „Wenn du wüßtest!“
    Madame Vaison gehörte zu jenen Leuten, deren Energie auch dann nicht nachläßt, wenn sie älter werden, und deren kämpferische Instinkte niemals schwächer werden.
    „Ich komme sofort, mein Kleines! Warte nur ein wenig! Ich bin gleich bei dir!“
    Corinne schien sich nur mit Mühe aufrecht zu halten und machte ein paar taumelnde Schritte.
    Aber nun wurde die Nacht plötzlich lebendig. Schritte waren zu vernehmen, dann auch Rufe. Ein Hund bellte laut, und dann schlug ein paarmal kurz nacheinander das kleine Glockenspiel der Gartentür an.
    Madame Vaison lief durch den Garten zu ihrer Schwiegertochter, um sie zu stützen. Sie führte die junge Frau zur Tür und erkannte auch sofort alle, die in kurzen Abständen ankamen: Monsieur Feras, der schon im Schlafrock war, Pascal, der ganz außer Atem ankam, weil er gerannt war und dabei heftig zitterte, Faraud, der seinem Herrn mit fliegenden Flanken gefolgt war und schließlich Renaud; seine Miene war düster, und er drückte entschlossen die Schultern zurück, als wolle er damit andeuten, daß er nötigenfalls mit brutaler Kraft handeln werde.
    Die drei Männer kamen aus verschiedenen Richtungen. Seit sie ihre Unterhaltung beendet hatten, waren kaum mehr als zehn Minuten vergangen; die beiden Burschen hatten eine gewisse Wegstrecke zurückgelegt, ehe sie sich trennten, und sie alle hatten den Schrei gleichzeitig vernommen und auf dem Absatz kehrt gemacht, um den Damen Vaison zu Hilfe zu eilen.
    Es konnte kein Zweifel daran bestehen, daß alle drei, wenn auch verschiedenen Alters und aus durchaus unterschiedlichen Beweggründen herbeigeeilt, die spektakuläre Aufmachung Co-rinnes als befremdlich empfanden.
    Die junge Madame Vaison war nämlich unter dem hauchdünnen Neglige splitternackt. Anmutig ließ sie ihren hübschen Kopf auf die Schulter ihrer Schwiegermutter sinken. Im hellen Mondlicht schimmerte ihr apartes Gesicht, das in seinen Grundzügen der westlichen Welt angehörte, dem aber der Orient seinen subtilen Stempel aufgedrückt hatte und ihm damit zur angeborenen Schönheit auch noch einen beunruhigenden Charme verlieh.
    In ihrer Verwirrung, die Lippen halb geöffnet, bot sie ein Bild, das sich ein begnadeter Maler nicht besser hätte wünschen können. Es war ein ausnehmend fesselndes, von einem merkwürdigen Schleier des Geheimnisvollen überhauchtes Bild.
    Renaud und Pascal waren vielleicht viel zu primitiv, um das genau zu erfassen, aber jedenfalls sprächen sie kein Wort.
    Monsieur Feras dagegen erkundigte sich voll Lebhaftigkeit: „Was ist denn passiert? Madame Vaison hat geschrien? Es war ein schrecklicher Schrei.“
    „Ich weiß nicht, was passiert ist“, antwortete die alte Dame. „Ich hatte schon geschlafen. Von diesem entsetzlichen Schrei bin ich aufgewacht und in das Zimmer meiner Schwiegertochter geeilt. Aber sie war schon im Garten, ganz aufgelöst vor Angst und Verwirrung.“
    „Wir können sie auf gar keinen Fall hierlassen.“
    „Ja, da haben Sie recht. Wir müssen sie in ihr Zimmer zurückbringen.“
    Aber Corinne brach zusammen. Sofort liefen die drei Männer herbei, um sie zu stützen und zu tragen, da sie nicht mehr fähig zu sein schien, selbst zu gehen.
    Madame Vaison, die Schwiegermutter, hielt sie jedoch zurück. Der alten Dame erschien es nicht schicklich, Corinne von den drei Männern tragen zu lassen, denn ihrer Ansicht nach ließ die Aufmachung ihrer Schwiegertochter das nicht zu.
    Die beiden jungen Männer zögerten denn auch. Aber Monsieur Feras durfte mit Rücksicht auf sein gesetztes Alter doch gewisse Vorrechte für sich beanspruchen.
    „Sie erlauben doch?“ wandte er sich an die alte Dame.
    Madame Vaison nahm sein Hilfsangebot mit einem immer noch etwas zurückhaltenden Kopfnicken an. Pascal und Renaud waren in einigen Schritten Entfernung stehengeblieben.
    „Sucht den Garten ab, ihr beide, auch die Zufahrt und die nächste Umgebung“, befahl Monsieur Feras. „Offensichtlich wurde Madame Vaison das Opfer

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