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036 - Die Hand des Würgers

036 - Die Hand des Würgers

Titel: 036 - Die Hand des Würgers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurice Limat
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eines Angriffs. Das müssen wir sofort untersuchen. Und sagt mir Bescheid, was ihr gefunden habt!“
    Dann half er der alten Dame, Corinne in ihr Schlafzimmer zurückzubringen.
    Pascal und Renaud machten sich, gefolgt von Faraud, daran, gewissenhaft den ganzen Garten und die nähere Umgebung abzusuchen. Sie fanden jedoch nicht die geringste Kleinigkeit. Wenig später klopften sie an der Tür der Damen Vaison, und Monsieur Feras ließ sie ein.
    Ein wenig verschüchtert blieben sie auf der Schwelle des Zimmers stehen; fasziniert sahen sie zu, wie Corinne sich ein wenig aus den Decken erhob. Ihre langen Haare waren aufgelöst, und ihr Gesicht trug noch deutliche Zeichen der Verwirrung und Angst.
    Ihre Schwiegermutter und Monsieur Feras hatten sie zu Bett gebracht und mit allem Nötigen versorgt. Sie schien aber irgendwie zu phantasieren, denn sie sprach leise, wie zu sich selbst, vor sich hin: „Ich schlafe. Ich träume. Es ist ein ganz merkwürdiger Zustand, fast so, als wache ich aus einer Betäubung auf. Fast wie die Klarheit des Traumes, in dem man neben sich selbst steht und sich selbst beobachtet. Man ahnt die Nacht mit all ihren Geheimnissen. Man nimmt alles wahr. Aber man schläft. Man glaubt, gefesselt zu sein. Man kann sich nicht bewegen, nichts tun, gar nichts.“
    Sie sprudelte die Sätze aus sich heraus, unterbrach sich dabei oft, als taste sie nach der Realität, um sich wieder in sie hineinzufinden. Dann brachte ihre Schwiegermutter ein Glas Kognak, den sie in kleinen Schlucken trinken mußte.
    „Reg dich nicht auf, Corinne. Du hast einen Alptraum gehabt. Das kommt doch oft vor, oder nicht? Sei nur ruhig, mein kleines Töchterchen.“
    „Nein, Mama, ich habe etwas gesehen. Das ist mir früher schon einmal passiert, vor vielen Jahren. Dort, in Indochina. Ich sehe auch dann, wenn ich die Augen schließe.“
    Sie seufzte und schwieg, als sei sie sehr erschöpft.
    „Sprechen Sie nur, liebe Freundin“, bat Monsieur Feras. „Erzählen Sie uns, was Ihnen zugestoßen ist.“
    Corinne setzte sich, unterstützt von ihrer Schwiegermutter auf. Ihr Gesicht war von den verschiedensten Gefühlen aufgewühlt, und sie schien ganz zu vergessen, daß die beiden jungen Männer noch immer auf ihrer Türschwelle standen. Wie in Trance rief sie:
    „Jemand muß in diesem Zimmer gewesen sein. Jemand. Oh, ich könnte nicht sagen, es sei eine Person gewesen. Es war eher eine Anwesenheit – ein Sein.“
    „Das Gesicht haben Sie nicht gesehen?“
    Corinne schloß die Augen und schien ihre Erinnerung zu durchforschen. Und sie schien darunter zu leiden, denn sie stieß einen tiefen Seufzer aus.
    „Sein Gesicht? Aber ES hatte doch gar kein Gesicht!“ rief sie.
    „Corinne, Corinne, mein kleines Mädchen. Ich sage dir, du hast das nur geträumt“, erwiderte Madame Vaison. „Schweig lieber! Es erschöpft dich zu sehr.“
    „Damit könnten Sie recht haben, Madame“, bemerkte Monsieur Feras.
    Aber Corinne schien das nicht gehört zu haben.
    „Kein Gesicht. Ich weiß nicht einmal, ob ES überhaupt einen Körper hatte. Ich weiß nur, daß ES existierte, daß ES da war, daß ES sich meinem Bett genähert hat.“
    Faraud begleitete die seltsame Erzählung mit leisem Winseln. Hunde erfassen ja mit einem ungeheuren Scharfsinn vieles, was dem Wahrnehmungsvermögen der Menschen entgeht.
    Pascal starb tausend Tode. Er ahnte und zweifelte gleichzeitig, daß er sich dieser Frau, für die er ein unerklärliches Gefühl empfand, jemals enthüllen könnte.
    Auch Renaud schwieg. Er schien eine Statue aus Fleisch und Blut zu sein und war außerordentlich niedergeschlagen, weil er sich selbst von einer Lawine blutiger, ungewöhnlicher Ereignisse überrollt sah. Als robuster, mit der Natur verbundener Junge vom Land begriff er überhaupt nichts von den komplizierten Hintergründen, die sich für Corinne zu offenbaren schienen.
    „ES war ganz nahe neben mir“, flüsterte Corinne.
    „Wenn Sie in einem so verwirrten Zustand sind und schon eine ganze Weile nur davon sprechen, dann müssen Sie dieses ES doch auch gesehen haben“, sagte Monsieur Feras.
    „Ja, natürlich“, antwortete Corinne. „In einem bestimmten Moment. Ganz neben mir. ES glitt über die Bettdecke, kroch zum Kopfkissen. Oh, ich habe ES gesehen.“
    Pascal wußte, was Corinne nun sagen würde. Er wäre jetzt am liebsten gestorben oder mindestens im Erdboden versunken, um das nicht hören zu müssen, was folgen mußte; jenes fatale Wort, das sie unweigerlich nun aussprechen

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