0368 - Alptraumzeit
Schamane berührte die Schläfen Dave Bontongs und tastete sich geistig in sein Unterbewußtsein vor. Erschrocken wich er wieder in sich selbst zurück. Bontongs Unterbewußtsein war ein wirres Durcheinander. Es gab keine klaren Gedankenbahnen mehr, und das zerstörerische, das in ihm loderte, hatte auf Old Nugger überzugreifen gedroht.
Betroffen sah er den Mann an. Die Berührung des Kristalls verwirrte, zerstörte vielleicht seinen Verstand!
Tief atmete der Schamane durch. Wenn er etwas tun konnte, dann mußte das so bald wie möglich geschehen, und es gab auch ein großes Risiko für ihn selbst. Aber er konnte nicht einfach zusehen, wie Dave Bontong zu einem lallenden Idioten wurde.
Er richtete sich auf und lief nach vorn. »Einen Wagen, schnell«, stieß er hervor. »Egal, wo ihr ihn her nehmt. Ich brauche ihn sofort. Und - ein Tuch! Beeilt euch!«
Ratlos sahen sich ein paar Männer an. Woher sollten sie ein Auto nehmen?
»Der Mann, der euch den Schnaps und das Bier verkauft!« brüllte Old Nugger »Soll er einmal in seinem Leben auch etwas Vernünftiges tun! Er soll den Wagen geben oder uns fahren! Das Tuch! Wie lange soll ich warten?«
Eine Frau drückte ihm einen großen Stoffetzen in die Hand. Old Nugger lief wieder zu Bontong zurück. Er legte das Tuch dreifach gefaltet über den Kristall. Einen Augenblick lang zögerte er. Was, wenn das Tuch nicht reichte, die zerstörerische Kraft des Kristalls abzuschirmen? Aber dann griff er zu, faßte den Kristall mit dem Tuch, hob ihn an, wickelte ihn fest darin ein.
Nichts geschah. Es reichte. Es gab keinen unmittelbaren Körperkontakt. Die Erfahrung stufte Old Nugger als äußerst wichtig ein.
Wie lange dauerte es, bis jemand mit dem Wagen kam?
Da rumpelte das Geländefahrzeug heran. Waren Minuten vergangen, eine Viertelstunde oder mehr? Old Nugger wußte es nicht. Er hatte nie in seinem Leben nach der Zeit gefragt. In der Wildnis, in der er sich bewegte, in der er sich zu Hause fühlte, und an den Traumzeitplätzen, die sein Lebensinhalt waren, spielte Zeit keine Rolle.
Der Fahrer, ein Mann mittleren Alters, sprang aus dem Wagen. »Was soll das eigentlich?« knurrte er Old Nugger an. »Warum haben mich deine Leute fast entführt, eh? Ich werde…«
»… ruhig sein«, sagte Old Nugger leise, aber sehr eindringlich. So eindringlich, daß der Mann auf der Stelle verstummte. Der Schamane gab zwei anderen Aborigines einen Wink. »Ladet Dave in den Wagen.« Er wandte sich wieder dem Weißen zu.
»Du fährst uns. Oder zeig mir, wie dein Auto fährt.«
»Ich bin doch nicht verrückt«, stieß Shawn Alkers hervor, der Kioskbesitzer, der die Aborigines mit Alkohol zu versorgen pflegte. »Was ist mit dem Mann? Muß er ins Krankenhaus?«
»Er muß an einen Platz, an dem ich ihm helfen kann. Du fährst uns«, bestimmte Old Nugger und stieg ein.
»Ich denke gar nicht daran«, protestierte Alkers.
»Du weißt, wer ich bin«, sagte der Schamane.
»Ja. Der verrückte Zauberer.«
»Du wirst erleben können, wie verrückt ich bin, wenn du nicht tust, worum ich dich bitte, weißer Mann. Fahr.«
Alkers sah ihn an. Plötzlich nickte er. »Zeig mir den Weg.«
Die ruhige Bestimmtheit, mit der Old Nugger sprach, hatte ihn dazu gebracht, zu tun, was Nugger verlangte. Der hagere Schamane strahlte eine unbezwingbare Autorität aus, neben der sich Shawn Alkers plötzlich klein vorkam. Ein Faden riß. In diesem kurzen Augenblick erkannte der Weiße, daß diesen Leuten, den Ureinwohnern, der Kontinent gehörte und daß die Weißen nach zweihundert Jahren immer noch nur Gäste waren, die das Land und seine Bewohner nicht verstanden. Nicht verstehen konnten, weil ihnen die Voraussetzungen fehlten. Sogar der Begriff »Kontinent gehören« war falsch - das Land gehörte den Aborigines nicht, sondern es war wie sie ein Teil des Ganzen, nur in anderer Form.
Er fuhr.
Er war der ersté Weiße, der einen geheimen Spukplatz der Aborigines gezeigt bekam… denn der Aborigine brauchte ihn…
***
Es war heiß.
Zamorra schätzte die Temperatur auf annähernd vierzig Grad. In dieser Hitze, in der es keinen Schatten gab, marschierten sie stadtwärts. Die Strecke schien kein Ende nehmen zu wollen.
Zamorra hätte nie geglaubt, welch riesige Entfernung rund zwölf Kilometer sein können. Anfangs hatte er versucht, die Schritte zu zählen und damit die zurückgelegte Entfernung zu messen. Aber schon bald gab er auf. Der Wagen war längst als winziger Punkt in der Ferne verschwunden. Sie
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