0369 - Das Grauen aus dem Bleisarg
wir etwas unternehmen, Mrs. Sinclair. Dieser Fall ist mehr als ungewöhnlich.«
»Das stimmt. Und was wollen Sie tun?«
Die Chinesin gab noch keine Antwort, da sie dem startenden Wagen nachschaute. Zumindest müssten Suko und John Bescheid wissen. Eine Frau, die mit Gebeinen klappert, ist mehr als ungewöhnlich. Ich würde sagen, außergewöhnlich…
Mrs. Sinclair lächelte schmal. »Ich bin einverstanden. Allmählich habe ich das Gefühl, dass sich mein Sohn an keinem Platz auf der Welt verstecken oder ausruhen kann.«
»Das stimmt. Dämonen sind eben allgegenwärtig.« Shao hatte ihre Jacke schon genommen und half Mary Sinclair dann noch in den Mantel, bevor sie sich den Schal um den Hals schwang.
Unten mussten sie zahlen. Die Rechnung übernahm Mrs. Sinclair.
Als sie nach draußen kamen, spürten sie sofort den auffrischenden Wind, der über den Marktplatz strich. Es war auch diesiger geworden, und Mary Sinclair deutete zum Himmel.
»Das sieht mir ganz nach Nebel aus«, sagte sie.
»Und kein Schnee?«
»Könnte auch kommen. Zumeist ist es dann Graupel.«
»Sie kennen sich hier aus, Mrs. Sinclair. Wo liegt denn das Polizeirevier eigentlich?«
»Ich führe Sie hin. Wir müssen zur Hauptstraße. Dann ist es nicht mehr weit.«
Die beiden Frauen stemmten sich gegen den Wind an. Als sie die Straße erreichten, sahen sie einen Krankenwagen, der mit eingeschaltetem Blaulicht vorbeifuhr.
»Das ist auch selten«, kommentierte Mary.
»Vielleicht ist was passiert.« Shao schleuderte den Schal wieder zurück, den der Wind ihr zur Seite gedrückt hatte.
»Das wird es sein.« Plötzlich lief Mary Sinclair einige Schritte vor.
»Da ist ja unser Wagen.« Die Frau blieb am Straßenrand stehen und winkte. Das Zeichen wurde gesehen.
***
»Deine Mutter«, sagte Suko.
Ich hatte sie ebenfalls entdeckt, fuhr links an den Straßenrand und stoppte sacht.
Auch Shao kam. Die beiden Frauen traten an den Wagen, und wir öffneten die Türen.
Aufatmend ließen sie sich in den Fond fallen. »Zu euch wollten wir«, sagte meine Mutter, als sie die Autotür zuschlug.
Ich drehte mich um. »Wieso?«
»Weil wir etwas sehr Seltsames entdeckt haben.«
»Eine Frau, die mit Gebeinen klappert«, fügte Shao hinzu.
Suko und ich saßen da, wie vom Donner gerührt. Das merkten die Frauen natürlich, und Shao fragte: »Stimmt etwas nicht?«
»Wo hast du sie gesehen?« wollte Suko wissen. Er drehte sich bei der Frage um.
»In einem Café.«
»Wirklich?«
»Ich war schließlich dabei«, erklärte meine Mutter. »Aber diese Frau hielt sich nicht allein dort auf. Noch zwölf andere Personen waren bei ihr.«
»Und was wollten die?«
»Das wissen wir nicht genau. Auf jeden Fall hatten sie vor, eine Gruft zu besuchen.«
»Also doch«, sagte ich.
Jetzt waren die beiden überrascht. Wir allerdings gaben keine Erklärungen ab, sondern ließen uns berichten, was Shao und meine Mutter erlebt hatten.
Sollte ich es als Fügung, als Schicksal oder als Zufall bezeichnen?
Vielleicht traf jeder Begriff zu einem Teil zu, jedenfalls hatte das Geklapper der Knochen die beiden Frauen ziemlich erschreckt. Und auch ihr Vorhaben, dass sie eine so alte Grabstätte besuchen wollten.
»Da muss es doch einen Grund geben«, sagte Shao zum Schluss.
»Den gibt es auch«, bemerkte Suko, »und wir werden ihn herausfinden.«
»Wie?«
»Wir wollten zu diesem Totenhaus oder zu der Gruft fahren. Ihr habt uns aufgehalten.«
»Sag nur.«
Es war an der Zeit, dass wir ebenfalls unsere Erlebnisse berichteten, und die beiden Frauen hörten angespannt und auch mit wachsendem Entsetzen zu, wenigstens meine Mutter, die solche Dinge nicht gewohnt war.
»Das ist ja schrecklich«, flüsterte sie. »Die Frau ist in Wirklichkeit ein Skelett? Ich kann es kaum glauben!«
»Und noch etwas, Mutter. Sie kam mir vor, als wäre sie nicht ganz richtig im Kopf. Ist euch das auch aufgefallen?«
»Nein, John. Auf uns machte sie einen regelrecht beherrschenden Eindruck.«
»Dann muss sie sich nach ihrer Verwandlung verändert haben«, fügte Suko hinzu.
»Das glaube ich auch.«
Mitnehmen konnten und wollten wir die Frauen nicht. Deshalb schlug ich vor, sie eben nach Hause zu fahren.
»Das ist nett, John. Deine alte Mutter hätte sich sonst ein Taxi nehmen müssen.«
Man konnte die Entfernung als einen Katzensprung bezeichnen.
Wir rollten den Hang hoch, und ich sah mich gezwungen, die Scheinwerfer einzuschalten, da der Nebel allmählich dichter wurde und bereits die ersten
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