0371 - Der Satan füttert sie mit Gift
alle Ärzte ab, die ihre Praxis dort in der Nähe haben.«
»Die Ärzte? Glauben Sie, dieser Hipley ist von der Unfallstelle weggelaufen, um den nächsten Arzt aufzusuchen?«
»Er ist nicht weggelaufen, um den nächsten Arzt aufzusuchen, sondern um uns zu entkommen«, verbesserte O’Neil mit pedantischer Genauigkeit. »Aber dazu mußte er das Blut aus dem Gesicht loswerden und ein Pflaster auf die Wunde kriegen. Der alte Doc hat gesagt, daß er mindestens eine starke Platzwunde hatte und Blut im Gesicht. Damit kann man nicht durch die Gegend laufen, Jack! Wir Esel hätten schon heute früh auf den Gedanken kommen sollen.«
»Na, ich weiß nicht«, meinte Wardson zweifelnd. »Ich verspreche mir nichts davon. Aber etwas anderes können wir im Augenblick wohl nicht unternehmen. Wenn ich mal Polizeipräsident bin, möchte ich nicht erzählen müssen, daß meine Karriere mit einem Mißerfolg begann.«
»Hui!« sagte O’Neil und grinste.
Trotz des pausenlos strömenden Regens marschierten sie dann geschlagene zwei Stunden lang in der Gegend umher. In allen Querstraßen der First Avenue, die nahe genug an der Ausfahrt der Brücke lagen, hielten sie nach Arztschildern Ausschau. Wardson bewunderte die verbissene Ausdauer des Sergeanten. Fünf Ärzte hatten sie schon befragt, und noch immer wollte O’Neil nicht aufgeben.
»Den nächsten noch«, hatte er schon seit dem dritten vergeblichen Versuch jedesmal gesagt.
Gegen zwei Uhr mittags kamen sie an die verschlossene Praxistür von Dr. Callham. O’Neil schüttelte sich das Wasser vom Mantel und von der Mütze, bevor er klingelte. Es dauerte eine Weile, bis die Tür geöffnet wurde. Ein etwa fünfzigjähriger Mann stand vor ihnen. Er machte den Eindruck, als ob er gerade im Mittagsschläfchen gestört worden wäre.
»Guten Tag, Doc«, sagte O’Neil in seiner leutseligen Art. »Tut uns leid, wenn wir Sie gestört haben sollten. Können Sie uns eine Auskunft geben?«
»Bitte, natürlich, selbstverständlich«, erwiderte der Mann und holte eine randlose Brille mit schmalen Goldbügeln aus der oberen Westentasche. Als er sie auf der Nase hatte, sah er wesentlich respektabler aus.
»War bei Ihnen heute morgen ein verhältnismäßig junger Mann mit einer Beule am Kopf, die Sie ihm verpflastern sollten?«
»Ja, richtig. Warum?«
O’Neil schloß die Augen und murmelte:
»Doc, dürften wir uns einen Augenblick mit Ihnen über diesen jungen Mann unterhalten?«
Der Arzt zuckte die Achseln.
»Als Staatsbürger muß man der Polizei wohl behilflich sein, nicht wahr? Bitte, kommen Sie doch herein.«
Er führte sie in das büroartig eingerichtete Vorzimmer, wo während der Sprechstunden die Sprechstundenhilfe saß. O’Neil steuerte sofort auf sein Ziel los.
»Hatte der Mann ein schmales Bärtchen auf der Oberlippe, Doc?«
»Ja, das hatte er.«
»Danke«, sagte O’Neil inbrünstig. Und mit einem Grinsen zu Wardson fügte er hinzu: »Wenn du Polizeipräsident bist, mein Sohn, denk dran, wer ein guter Boß der Kriminalabteilung sein könnte.«
»Was ist denn nun eigentlich los?« fragte der Arzt neugierig. »Ich hoffe, es handelt sich bei dem jungen Mann nicht um einen Verbrecher. Er machte nämlich einen sehr netten Eindruck.«
»Wir brauchen ihn als Zeugen«, meinte O’Neil. »Welche Verletzungen hatte er, Doc?«
»Er sagte, er wäre in dem Regen auf einer Treppe ausgerutscht und gestürzt. Nach der Art der Platzwunde und der Beule oberhalb der rechten Schläfe erschien mir diese Erklärung glaubhaft. Ich warnte ihn allerdings davor, die Sache auf die leichte Schulter zu nehmen. Manchmal spürt man eine Gehirnerschütterung erst viel später, wenn man den Schock überwunden hat. Er versprach, sich röntgen zu lassen.«
»Wo?«
»Wir haben nicht direkt von einer bestimmten Stelle gesprochen. Das kann man doch in New York an tausend verschiedenen Stellen machen lassen.«
»Hm«, brummte O’Neil. »Was sagte er denn so, während Sie ihn behandelten? Ich meine, man sitzt doch nicht stumm wie ein Fisch herum, während einem der Doc ein paar Pflaster auf den Kopf klebt, oder?«
»Nun, er war tatsächlich nicht sehr gesprächig.«
»Er hat sich doch bestimmt vorgestellt, nicht wahr?«
»Wenn er es nicht getan hätte, würde meine Sprechstundenhilfe nach seinem Namen gefragt haben. Das ist unerläßlich, wenn man bei mir behandelt werden will. Ich lege in jedem einzelnen Fall ein Karteiblatt an. Fünfundsiebzig Prozent der Patienten kommen später wieder, und es ist
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