0375 - Die Gangsterhochzeit von Chicago
führte mich in einen Nebenraum, wo ein kaltes Büfett aufgebaut war, das die raffiniertesten Speisen von der russischen bis zur chinesischen und französischen Küche anbot.
»Selbstbedienung, Mr. Holl«, sagte Pone.
»Sie scheinen hier ein und aus zu gehen«, bemerkte ich.
»Sieht es so aus?«, fragte er spöttisch.
»Oder Sie haben die Eigenschaft, sich blitzschnell irgendwo zurechtzufinden.«
»Wenn man ein solches Erbe antritt -eines Tages«, verbesserte sich Pone schnell, »muss man wendig sein.«
Ich horchte auf. Es hatte in der Abendzeitung gestanden, dass Francis Roche verunglückt war. Sollte ausgerechnet Pone noch nichts davon erfahren haben? Das schien mir unmöglich.
»Ist Ihr Onkel nicht im Studebaker abgereist?«, wechselte ich das Thema.
»Woher wissen Sie das?«, fragte er überrascht.
»Ich habe es in der Klatschspalte einer Zeitung gelesen.«
»Well, wissen Sie, ich lese nie Zeitung.«
»Ich werfe hin und wieder einen Blick hinein. Bei mir bringt es der Beruf mit sich«, gab ich zu.
Der angebliche Neffe von Francis Roche benahm sich recht seltsam. Er spielte den Unwissenden, während die Boulevardblätter ihre Schlagzeilen dem Unglücksfall widmeten.
Außerdem hätte doch Lieutenant Harrison längst im Haus des Ermordeten aufkreuzen müssen. Es war also ausgeschlossen, dass Roches Neffe von dem Geschehen noch nichts wusste.
Ich suchte einen Grund, mich für einige Minuten zu entfernen, und stürzte in die Telefonzelle, die neben der Garderobenablage stand.
Hastig steckte ich zwei Nickel in den Schlitz und wählte das Polizeirevier in der Nähe des Steinbruchs. Ein Sergeant teilte mir mit, dass Harrison nicht mehr im Dienst war. Zu Hause sei er auch nicht zu erreichen. Er könne mich mit seinem Vertreter verbinden. Ich verzichtete darauf, bedankte mich und hängte ein.
Nur Harrison konnte mir Auskunft geben, weil ich mich den übrigen Polizisten nicht zu erkennen geben wollte.
Mit nachdenklichem Gesicht verließ ich die Telefonzelle. Auf den Augenblick schien eine Meute lebenshungriger junger Leute gewartet zu haben.
Zwei Girls kaperten mich, hakten sich bei mir ein und schleppten mich in den großen Clubraum. Meine Nachbarin zur Rechten duftete nach Veilchen. Sie hatte das Parfüm auf die Farbe ihrer blauen Augen abgestimmt.
Das Girl war dunkelhaarig, gut proportioniert und besaß ein liebes Puppengesichtchen.
Die zweite war einen halben Kopf größer und kastanienbraun, hatte rehbraune melancholische Augen, einen ausgeprägten Mund unter einer betonten Nase. Jede ihrer Bewegung verriet Lebenslust und Temperament.
Die Girls schleppten mich in die Sektbar, wo sich der Betrieb konzentrierte. Sie angelten drei Gläser von einem Tablett, drückten mir einen Kelch in die Hand und tranken mir zu. Ich bedankte mich mit einigen Komplimenten. Das brünette Girl zog mich auf einen Barhocker. Die Dunkelhaarige pflanzte sich an meine andere Seite.
Nach wenigen Sekunden sah ich ein, dass diese Art der Abendunterhaltung weder meinem Geldbeutel noch meinem seelischen Gleichgewicht dienlich war.
Ich benutzte deshalb irgendeinen fadenscheinigen Grund, die erste Runde zu zahlen und zog mich schleunigst zurück.
***
Ich suchte Kontakt mit der Chandler-Gang. Nur so konnte ich zum Zuge kommen. Es war angekündigt, dass Jeff Chandler, der Boss der Gang, heute Abend die Hochzeit seines Sohnes im High Lion Club feierte. Das war der Grund, warum ich mich hier herumtrieb.
Gegen Mitternacht öffneten sich die großen gläsernen Flügeltüren des Clubraums. Angestrahlt wie zur Filmaufnahme standen im prallen Licht Jeff Chandler, sein Sohn Terry und die Braut Susan Pearls.
Jeff, genannt Hurrican, war einen halben Kopf größer als ich. Er wirkte hager und drahtig. Über seinen wulstigen Lippen zitterte ein borstiger Schnurrbart, darüber eine Hakennase mit breiten Nüstern. Als Blickfang dienten seine muschelförmigen Ohren, die rechtwinklig vom Kopf abstanden. Seine Freunde und Feinde wisperten nicht umsonst: »Jeff hört das Gras wachsen.«
Aus wässrigen Augen starrte der Gangsterboss auf die gaffenden Clubmitglieder, die mit ihren Blicken das Girl verschlangen. Susan Pearls, die im letzten Jahr zur schönsten Frau in irgendeinen Bundesstaat gekürt worden war, hing am Smokingärmel ihres Schwiegervaters. Sie zauberte das sparsame Lächeln eines Mannequins auf ihre Lippen, als die Kameras losklickten. Die Pressefotografen waren wie Pilze aus dem Boden geschossen.
Terry Chandler zeigte ein
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