0378 - Aufstand der Henker
Offensichtlich herrschte darin mustergültige Ordnung, denn er fand den Schein sofort und legte ihn auf den Tisch.
Ich begnügte mich mit einem flüchtigen Blick. Es war immer dasselbe. Irgendein Sheriff in irgendeinem Landstrich der USA, gewöhnlich weit weg von New York, hatte das Dokument ausgestellt und gesiegelt.
Ich warf die Kanone auf die Tischplatte.
»Du bleibst bei deiner Behauptung, Tessie Williams nicht gekannt zu haben, Radoc?« wiederholte ich meine erste Frage.
Er qualmte gemächlich. Er hatte das Gefühl, die Partie gewonnen zu haben und knurrte durch die Rauchwolken ein nachlässiges: »Ja.«
»Okay, ich nehme diese Behauptung zur Kenntnis. Ich werde beweisen, daß sie nicht mit der Wahrheit übereinstimmt. Es gibt Zeugen, die dich viermal mit dem Girl gesehen haben.«
Er fuhr auf.
»Wer will mich mit ihr gesehen haben?«
»Ich.«
Er schwieg erschrocken. Ich wußte, daß er in seinem Gehirn die Gefahr abwog, die diese Behauptung für ihn bedeutete. Ich zielte in die gleiche Kerbe.
»Tessie Williams hat vor einem Monat einen Arzt aufgesucht. Sie wollte einen verzweifelten Versuch unternehmen, sich von ihrer Sucht heilen zu lassen. Sie erlaubte dem Arzt, sie mit verschiedenen Medikamenten zu behandeln, unter anderem mit Betäubungsmitteln. Unter der Wirkung dieser Mittel sprach sie und nannte eine Reihe von Namen, auch deinen, James Radoc.«
Sein Gesicht lief rot an.
»Kein Gericht kann mich wegen des Geredes eines rauschgiftsüchtigen Girls anklagen«, schrie er.
»Das stimmt«, gab ich zu, »aber sie nannte nicht nur deinen Namen, sondern auch andere. Ich vermute, daß die Namen deiner Zwischenhändler darunter waren. Wir werden den Faden rückwärts aufspulen bis zu dir, Radoc.«
Ich machte eine Kopfbewegung zu Rey French.
»Und bis zu ihm, selbstverständlich. Ich glaube nicht, daß du das Mädchen selbst erschossen hast, aber es wird eine Kleinigkeit sein, das festzustellen.«
Ich drehte mich auf dem Absatz um, verließ das Zimmer und trat aus dem Haus. Ich hoffte, gut geblufft zu haben, denn nichts an der Geschichte, die ich Radoc vorgesetzt hatte, stimmte, außer der Tatsache, daß Tessie Williams ermordet worden war.
Ich hoffte, mein Bluff würde Radoc zu einem Fehler verleiten, nämlich zum Angriff auf einen G-man — auf mich.
Als ich im FBI-Hauptquartier im Fahrstuhl zu meinem Büro hinauffuhr, dachte ich daran, daß der Gang-Boß seinem Henker jetzt vielleicht schon den Mordbefehl erteilt hatte.
Ich öffnete die Bürotür und hörte, daß das Telefon klingelte. Ich nahm den Hörer ab und meldete mich.
Eine tränenerstickte, schluchzende Frauenstimme drang an mein Ohr.
»G-man«, stieß Laureen Hadar hervor. »Bitte, kommen Sie sofort zurück. James ist ermordet worden.«
***
Er saß in seinem Schreibtischsessel, kaum anders, als ich ihn verlassen hatte. Sein Kopf war in den Nacken gefallen, der Mund stand offen. In seinen aufgerissenen Augen stand der Ausdruck des Erstaunens.
Ich beugte mich über ihn.
Sein Hemd, seine Krawatte und sein Jackett waren so voller Blut, daß die Einschüsse nicht zu erkennen waren, aber er mußte mit einem halben Dutzend oder mehr Kugeln in seinem Sessel festgenagelt worden sein.
Die Pistole lag noch auf der Tischplatte. Ich nahm sie in die Hand und schnupperte am Lauf. Sie roch nach Öl, nicht nach Explosionsgasen. Ich ließ das Magazin aus dem Griff gleiten. Keine Kugel fehlte. Mit dieser Waffe war Radoc nicht erschossen worden.
Laureen Hadar saß zusammengesunken in einem Sessel. Aus tränennassen Augen starrte sie auf den Teppich. Ihr Mund zitterte. Sie zerknüllte ein Taschentuch zwischen den Fingern. Bei jeder Bewegung blitzte der Brillant ihres Ringes.
Ich ging zu ihr und zog einen Stuhl heran.
»Wer hat ihn getötet?«
»Rey… Oh…«
Sie wollte das Gesicht in den Händen verbergen. Ich hielt ihre Handgelenke fest.
»Erzählen Sie!« sagte ich.
***
Da Laureen Hadar den Hergang in jeder Einzelheit schilderte, kann ich Ihnen einen so genauen Bericht über die Tat geben, als wäre ich selbst dabei gewesen.
Die Tür hatte sich kaum hinter mir geschlossen, als Radoc den schweren Schädel auf dem kurzen Hals wandte und zu Rey French sagte:
»Der Bursche ist deine nächste Aufgabe, Rey!«
French knurrte:
»Ich geh an keinen G-man ’ran!«
»Unsinn! Ein G-man stirbt an ’ner Kugel genauso wie jeder andere.«
»Der eine — ja, aber wenn er tot ist, kommen die anderen. Ich weiß, wie wild sie werden, wenn einer von
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