038 - Bis die Ratten dich zerfetzen
der im Raum stehenden Kerzen, zündete sie an und wagte
die ersten Schritte ins Dunkel. Das bizarre Felsgestein war feucht. Jeder
Schritt hallte vielfach verstärkt durch den Tunnel, obwohl Helen sich bemühte,
besonders leise aufzutreten. Irgendwo tropfte es monoton.
Helen Powell
sah sich im flackernden Schein der Kerze aufmerksam um. Die Australierin hatte
nicht die Absicht, besonders tief in den Gang einzudringen. Die Frage, die
Helen beschäftigte, war: Was hatte dieser hinter der Hauswand verborgene felsige
Tunnel zu bedeuten? Die Tatsache, daß es so etwas hier gab, war schon
verwunderlich genug. Aber diese Vorrichtung mußte doch irgendeine Bedeutung
haben, einen Sinn.
Bei diesen
Gedanken ging sie mechanisch weiter. Der Tunnel machte einen scharfen Knick
nach rechts, verengte sich, und die Reporterin mußte sich bücken, um den
nachfolgenden Durchlaß zu passieren, dessen Decke sehr niedrig war.
Ein kühler
Luftzug streifte ihr Gesicht. Sie merkte, daß der Boden zu ihren Füßen steil
abfiel, und im ersten Augenblick war sie der Meinung, daß sich ein Abgrund vor
ihr auftat. Sie riß die rechte Hand hoch und krallte sich in das scharfkantige
Felsgestein, um den mutmaßlichen Sturz zu verhindern.
Mehrere
Sekunden lang war die Flamme der Kerze in ihrer Hand ungeschützt.
Und das
flackernde Licht überstand den starken Luftzug im Tunnel nicht. Der Docht
verlöschte. Blauer Rauch kräuselte sich, wurde von der Luft auseinandergerissen
und verteilt.
Helen Powells
Herzschlag stockte. Sie stand in absoluter Finsternis. Wie eine Mauer schien
sich die Schwärze auf sie zu legen.
Die leise
Angst, die sie die ganze Zeit über erfüllt hatte, wurde jetzt um so stärker
entfacht.
Die
Australierin wich zitternd zurück. Sie preßte sich eng an die kalte, feuchte
Wand. Es war Helen Powell nicht möglich, die Kerze noch einmal anzuzünden. Die
Handtasche mit dem Feuerzeug hatte sie in ihrem Zimmer zurückgelassen. Erst
jetzt wurde ihr bewußt, wie oberflächlich sie ihr Unternehmen geplant hatte.
Sie hatte sich einfach von ihrem Gefühl treiben lassen. Doch es war auch nicht
vorgesehen gewesen, so tief in das Innere des Berges einzudringen.
Sie mußte auf
dem schnellsten Weg den Rückzug antreten. Mit einem Blick auf das
Leuchtzifferblatt ihrer Uhr stellte sie fest, daß sie bereits seit einer halben
Stunde unterwegs war. Sie hoffte, daß in der Zwischenzeit noch niemand in ihr
Zimmer gekommen war und das Loch in der Rückwand des Hauses entdeckt hatte.
Doch selbst wenn dies der Fall sein sollte, würde ihr schon die richtige
Erklärung einfallen. Sie hatte den Tunneleingang durch Zufall entdeckt, und das
war die Wahrheit. Was war schon Besonderes dabei, wenn man seine Neugierde
stillte?
Immer den
Felsen im Rücken, ging sie Schritt für Schritt zurück. Kein Lichtstrahl
unterbrach die eintönige Finsternis. Nur tastend konnte sich die junge
Reporterin Vorarbeiten. Dann kam sie an die Stelle des niedrigen Durchlasses,
und sie mußte sich bücken. Eigentlich durfte es gar nicht so schwierig sein,
den richtigen Weg wiederzufinden. Sie mußte nur immer an der Felswand
entlanggehen. Doch hier war eine gewisse Vorsicht geboten. In der Felswand gab
es mehrere mannshohe Löcher, die sie links hatte liegen
lassen . In der Dunkelheit konnte es leicht passieren, daß sie die
Richtung verwechselte.
Helen Powell
war ein Bündel gespannter Aufmerksamkeit. Zielstrebig, mit weit aufgerissenen
Augen, als könne sie dadurch mehr wahrnehmen, ging sie vorwärts. Immer
geradeaus. Eine halbe Stunde verging. Helen Powell, noch bis vor wenigen
Minuten zuversichtlich, sicher an ihren Ausgangspunkt zurückkehren zu können,
verharrte zitternd an dem Platz, wo sie gerade stand.
Eine halbe
Stunde hatte sie bis zum Endpunkt gebraucht, also müßte sie schon jetzt
zumindest schwaches Tageslicht erkennen, das durch die kleinen Fenster des
Hauses fiel, in dem sie untergebracht war.
Aber da war
nichts!
Nach weiteren
zehn Minuten geriet sie in Panikstimmung. Schweiß brach ihr aus, und die
Kleidung klebte an ihrer Haut. Vor ihren Augen begann es zu flimmern. Helen
Powell schlug gegen das kantige, dunkle Gestein. Felsen, überall Felsen! Sie
fühlte sich eingeschlossen. Sie war gefangen, wie in einem Kessel! An
irgendeiner Stelle mußte der Fehler passiert sein. Sie war durch eines der
Löcher geraten und prompt weiter an der Wand entlanggegangen, wie in einem Kessel!
Für sie gab es keinen Zweifel mehr.
Ihr Atem
beschleunigte sich, ihr Puls
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