038 - Der Geistervogel
fuhr, erwachte sie aus der Betäubung.
Verwundert sah sie sich um und konnte sich nicht erklären, weshalb sie aus dem Haus gegangen war. Sie drehte sich um und wollte rasch in die Diele zurückkehren, als sie wieder die unsichtbare Stimme hörte.
Alles in ihrem Innern krampfte sich zusammen, sie preßte beide Hände gegen die flache Brust und seufzte. Ihre Augenlider wurden schwer.
Wie eine Schlafwandlerin stieg sie die Stufen hinunter, wandte sich nach links und ging in Richtung Meer.
Der Wind zerrte an ihrem Nachthemd, der Himmel war bedeckt, und das Toben der See vermischte sich mit dem Heulen des Windes.
Eine einsame, kleine Gestalt, die rasch weiterging.
Sie ging durch die Dünnen, die Stimme in ihrem Inneren führte sie weiter.
Sie erreichte den Vorstrand. Ihre nackten Füße versanken bei jedem Schritt im feuchten Sand.
Dann hatte sie den Strandwall erreicht und blieb stehen.
Die ersten Wellen umspülten ihre Beine. Sie spürte nicht die eisige Kälte des Wassers, nicht den Wind, der an ihrem Nachthemd riß.
Das Wasser reichte ihr bis zu den Waden, doch Unbeirrt ging sie weiter.
Sie hörte nicht das Flattern großer Flügel, sie hörte nur die Stimme, die sie verhext hatte und weiter trieb.
Silke fühlte sich am nächsten Morgen völlig zerschlagen.
Sie stand zeitig auf. es war dunkel, als sie das Frühstück machte. Der Wind hatte nachgelassen, sie öffnete ein Fenster und sah hinaus. Langsam wurde es hell.
Vom Küchenfenster aus hatte sie einen guten Überblick übers Dorf. Aus einigen Fenstern drang Lichtschein, die ersten Türen wurden geöffnet. Sie wunderte sich, daß die Tür von Erna Nielsens Haus offen stand, immer wieder drückte sie der schwache Wind zu, doch sie schwang zurück.
Zwei Männer gingen an Nielsens Haus vorbei, auch ihnen fiel die offen stehende Tür auf. Sie blieben stehen und unterhielten sich, dann stieg einer die Stufen hoch.
„Frau Nielsen“, hörte ihn Silke rufen. „Frau Nielsen.“ Er verschwand im Haus, und der zweite Mann folgte ihm.
Eine halbe Minute später kamen sie kopfschüttelnd zurück und sprachen leise miteinander. Sie gingen dann weiter, drehten sich aber einmal um und starrten zum Haus zurück.
Silke deckte den Tisch, dabei dachte sie an Frau Nielsen.
Sie konnte sich nicht vorstellen, daß die Nielsen schon aus dem Haus gegangen war. sie schlief immer ziemlich lange.
Silkes Mutter kam in die Küche. Sie war bleich, und wirkte übermüdet.
„Guten Morgen“, sagte Silke, doch ihre Mutter gab keine Antwort.
„Was ist mit dir. Mutter?“
„Ich habe unerträgliche Kopfschmerzen.“ sagte sie und setzte sich. Sie stützte die Hände auf den Tisch und vergrub ihren Kopf in den Handflächen. „Ich schlief schlecht. Hatte Alpträume.“
„Ich auch“, sagte Silke. „Ich konnte nicht schlafen.“
Ihr Vater tauchte in der Tür auf. Er sah auch nicht gerade frisch aus. „Morgen“, sagte er knapp. „Wo sind die Schmerztabletten?“
Silke holte sie aus einer Lade heraus. „Hast du auch Kopfschmerzen, Vater?“
Er nickte und schluckte zwei Tabletten. „Ich glaube, mir platzt der Kopf“, sagte er brummig. „Was ist mit dir los, Gunda?“ wandte er sich an seine Frau.
„Ich habe auch Kopfschmerzen“, sagte sie und versuchte ein Lächeln, das kläglich mißlang.
Thorensen setzte sich. „Noch nie in meinem Leben hatte ich Kopfschmerzen“, sagte er. „Das geht jetzt schon seit ein paar Tagen so. Aber heute ist es ganz besonders schlimm.
Ich sage euch, bei uns stimmt einiges nicht. Ich kann mir nicht helfen, diese Insel ist verflucht.“ Er schenkte sich eine Tasse Tee ein. Vor dem Haus waren Stimmen zu hören, die aufgeregt durcheinander riefen.
Thorensen stand auf und trat ans Fenster.
„Was ist los?“ rief er den Männern zu.
„Frau Nielsen ist verschwunden, Gerd“, antwortete einer der Männer. „Ihr Haus ist leer. Wir wollen sie suchen gehen.“
„Ich komme“, sagte Thorensen, trat vom Fenster zurück und trank seine Tasse leer.
Das halbe Dorf war schon vor Frau Nielsens Haus versammelt, als Thorensen und Silke auf die Straße traten.
Silke stellte sich zu Jan Hansen und Haike Petersen.
„Ist sie tatsächlich verschwunden?“ fragte Silke.
Jan nickte. „Ja“, sagte er. „Das Haus ist leer. Ihre Kleider liegen sauber zusammengelegt auf einem Stuhl. Es sieht so aus, als wäre sie ganz plötzlich aus dem Haus gegangen.
Ihr Schlafrockliegt neben dem Bett, sogar ihre Pantoffeln stehen noch da.“
Die
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