038 - Der Geistervogel
Sexualmörder?“
„Na ja, so etwas Ähnliches“, brummte Thorensen. „Aber das kann niemand von unserer Insel gewesen sein. Wir sind alle
…“ Er blickte nachdenklich auf die Tischplatte.
„Was wollten Sie sagen, Herr Thorensen?“
„Hm. Seit einiger Zeit häufen sich die seltsamsten Ereignisse, Herr Kommissar. Tiere starben. Es gab merkwürdige Unfälle. Und vor allem die Sturmfluten. Es kommt mir vor, als wäre plötzlich unsere Insel verhext. Und alles begann, als …“
„Das kannst du nicht sagen, Gerd“, unterbrach ihn seine Frau.
„Es ist aber wahr“, brummte Thorensen.
„Wann begann alles?“
„Ja, ich weiß nicht …“ Thorensen warf seiner Frau einen Blick zu, dann hob er die Schultern. „Es begann mit dem Auftauchen von Jan Hansen.“
Der Kommissar beugte sich interessiert vor. „Ich dachte, daß Hansen von hier stammt?“
„Das stimmt auch“, sagte Thorensen. „Er wurde hier geboren und wuchs auch hier auf. Aber er war anders als wir. Schon als Kind sonderte er sich von den anderen ab. Er war ein Grübler. Er konnte stundenlang am Strand sitzen und übers Meer blicken. Und er las Bücher, unglaublich viele Bücher. Er verschlang sie geradezu. Als er mit der Schule fertig war, hatte er noch nicht genug vom Lernen. Er machte dasAbitur. Fernkurs. Sein Vater wollte. daß er hier bleibe, doch Jan wollte nicht. Er hatte Streit mit seinen Eltern, und von einem Tag auf den anderen warer fort. Wir hörten nichts mehr von ihm. Erst vergangene Weihnachten tauchte er wieder auf. Er versöhnte sich mit seinen Eltern.
Er studiert in Hamburg. Und seither kommt er fast Wochenende zu Besuch. Es ist klar weshalb er kommt. Er ist in Haike Petersen verliebt. Und jedes mal, wenn er zum Wochenende hier ist, geschieht irgend etwas. Vergangene Woche brach sich der alte Hein das rechte Bein. Vor zwei Wochen hatten wir eine Sturmflut, wie wir sie noch nie erlebt hatten. Und so könnte ich Ihnen noch ein Dutzend Beispiele aufzählen.“ „Wollen Sie damit andeuten, daß Hansen etwas mit diesen Vorfällen zu tun hat?“
Thorensen schwieg kurz. Er schenkte sich einen Schnaps ein. „Ich will gar nichts damit sagen“, meinte er stur. „Aber ich finde es seltsam, daß wir jahrelang keine besonderen Vorfälle hatten, und seit er wieder da ist, häufen sie sich.
Und sie treten immer nur auf, wenn er da ist.“
„Sie wollen also behaupten, dieser Hansen habe den bösen Blick, oder etwas in dieser Art?“
„Man macht sich seine Gedanken, Herr Kommissar.“
„Das ist doch Unsinn“, sagte Friedsen schärfer, als er gewollt hatte.
Thorensen lächelte schwach. „Sie bezeichnen es als Unsinn, Herr Kommissar, aber es gibt Dinge, die man einfach nicht erklären kann.“
„Wir leben immerhin im zwanzigsten Jahrhundert“, sagte der Kommissar. „Mit haltlosen Vermutungen kommen wir nicht weiter.“
Thorensen preßte die Lippen zusammen. Auf die weiteren Fragen des Kommissars antwortete er nur sehr einsilbig.
Schließlich verabschiedeten sich Friedsen und Weber.
„Aberglaube“, sagte der Kommissar zu Weber. „Man sollte es nicht für möglich halten, wie einfältig und dumm Leute sein können. Da braucht nur einer anders als alle zu sein, und schon dichtet man ihm etwas an. Dieser Hansen macht auf mich den Eindruck eines völlignormalen jungen Mannes, der recht intelligent sein dürfte.“
Kopfschüttelnd ging er weiter. Der Regen hatte aufgehört, der Himmel war noch immer bedeckt, und der Wind war eisig.
„Jetzt nehmen wir uns den Leuchtturmwächter vor, Weber.“ Ein Polizist kam ihnen entgegen. Er blieb vor dem Kommissar stehen und salutierte.
„Was gibt es, Hartmann?“
„Herr Kommissar“, sagte der Polizist. „Eine Frau will Sie sprechen. Sie wohnt hier in diesem Haus. Sie heißt Erna Nielsen. Sie hat angeblich etwas beobachtet. Was es ist, wollte sie mir nicht sagen. Sie will unbedingt mit Ihnen sprechen.“
Der Kommissar nickte. „Dann wollen wir mal. Etwas anderes, Hartmann: Hörten Sie irgend etwas davon, daß heute ein Flugzeug über die Insel geflogen ist?“ Der Polizist schüttelte den Kopf. „Ich unterhielt mich mit einigen Leuten“, sagte er. „Aber es wurde kein Flugzeug gesehen.“
„Da kann man nichts machen“, meinte Friedsen.
Eine alte Frau empfing sie, die ein selbst gehäkeltes Wolltuch um die schmalen Schultern geschlungen hatte. Ihr Haar war streng nach hinten gekämmt und im Nacken mit einer altmodischen Haarspange zusammengehalten. Ihr Gesicht war
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