038 - Verbotene Sehnsucht
Kreisen heiraten."
„Ja, aber was, wenn sie sich in jemanden verlieben, der nicht von Stand ist?" Düster starrte Rebecca auf ihren Hering. „Ich meine, über Liebe hat man doch keine Macht, oder? Das ist ja das Schöne daran. Dass man sich völlig unerwartet in jemanden verlieben kann, der überhaupt nicht den Erwartungen entspricht - so wie Romeo und Julia."
„Wer, Miss?"
„Ach, Sie wissen schon. Shakespeare."
„Tut mir leid, aber von denen habe ich noch nie was gehört."
Verwundert drehte sie sich um. „Das ist schade, denn es ist wirklich ein gutes Stück.
Bis auf das Ende. Im Grunde geht es darum, dass Romeo sich in Julia verliebt, die leider die Tochter seines Feindes ist. Oder vielmehr ist ihre Familie mit seiner Familie verfeindet."
„Das ist aber nicht sehr schlau von ihm", bemerkte Gil ganz praktisch.
„Aber genau darum geht es ja! Es geht nicht darum, ob das schlau von ihm ist oder nicht - er kann es sich nicht aussuchen, in wen er sich verliebt. Es passiert einfach."
„Aha", sagte der Diener und schien von der überwältigenden Macht der Liebe wenig überzeugt. „Und dann?"
„Erst gibt es ein paar Duelle, dann eine heimliche Hochzeit, und dann sterben sie."
„Sie sterben?", fragte er entsetzt.
„Ich habe ja gesagt, dass das Ende nicht besonders gut ist", verteidigte sich Rebecca.
„Aber furchtbar romantisch."
„Also, am Leben bleiben fände ich besser als tot und romantisch sein", meinte Gil.
„Wahrscheinlich haben Sie recht. Meinen Bruder scheint die Liebe ja auch nicht gerade glücklich zu machen."
„Ist er deshalb auf Lord Vale losgegangen?"
„Vermutlich. Er liebt nämlich Lady Emeline. Aber das dürfen Sie auf gar keinen Fall weitersagen", fügte sie rasch hinzu.
„Das werde ich nicht, Miss."
Sie lächelte ihn an, und er lächelte zurück, wobei feine Fältchen sich um seine grünen Augen krausten, und sie dachte, wie wohl sie sich doch mit ihm fühlte. Bei den meisten Leuten hatte sie immer das Gefühl, jedes Wort ganz genau bedenken zu müssen und sich ständig sorgen zu müssen, was andere wohl von ihr dachten.
Aber bei Gil konnte sie einfach sagen, was ihr in den Sinn kam.
Während sie sich abermals ihrem Frühstück zuwandte, fühlte sie sich wohl und geborgen in dem Wissen, dass Gil hinter ihr stand.
Emeline saß im kleinen Salon ihres Stadthauses, trank Tee, lauschte Tante Cristelle und wünschte, sie wäre anderswo. Egal wo, nur weit fort.
„Du kannst dich glücklich schätzen", verkündete ihre Tante. „Du kannst dich wirklich glücklich schätzen. Ich weiß wahrlich nicht, wie dieser Mann seine mörderische Niedertracht so lange hat verheimlichen können."
Dieser Mann war natürlich Samuel. Einer Logik folgend, die nur sie selbst verstand, war Tante Cristelle zu dem Schluss gelangt, dass der schreckliche Zweikampf am vorigen Abend der schlagende Beweis für Samuels gewalttätiges Wesen war, welches sich endlich Bahn gebrochen hatte.
„Ich glaube, dass Verrückte ihren Wahnsinn lange verbergen können. Sie tarnen sich. Und du hast ja seine Schuhe gesehen", schloss Tante Cristelle und nippte nachdenklich an ihrem Tee.
„Ich glaube nicht, dass seine Schuhe etwas damit zu tun hatten", murmelte Emeline.
„Aber ja doch, natürlich!", entrüstete sich ihre Tante. „Schuhe verraten so viel über einen Menschen. Die Schuhe eines Trunken-bolds sind schmutzig und schäbig. Die der Dame von zweifelhaftem Ruf zu aufgeputzt. Und die des Mannes von mörderischer Gesinnung - nun, was trägt er wohl? Die Schuhe eines barbarischen Eingeborenen!"
Verstohlen ließ Emeline ihre Füße unter dem Rocksaum verschwinden.
Ausgerechnet heute musste sie reich mit Gold bestickte Schuhe tragen.
Rasch wechselte sie das Thema. „Ich weiß nicht, wie er das Gerede überstehen will.
Fast alles, was Rang und Namen hat, war gestern hier und hat mit angesehen, wie Mr. Hartley Jasper die Treppe hinuntergeworfen hat."
„Und das ist das eigentlich Verwunderliche."
Fragend hob Emeline die Brauen. „Dass alle zugeschaut haben?"
„Nein, nein." Die alte Dame winkte ungeduldig ab. „Dass Lord Vale sich so galant und nachgiebig gezeigt hat."
„Also, ich weiß nicht ...", wandte Emeline ein, der gestern gar nichts galant vorgekommen war.
„Mr. Hartleys Statur reicht nicht an jene von Lord Vale heran, und doch konnte er ihn überwältigen. Da fragt man sich ja schon, woraus sich seine Kraft speist."
„Wahrscheinlich aus seinem Wahnsinn", meinte Emeline trocken. Sie
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