038 - Verbotene Sehnsucht
pochierter Eier zurück. „Sie haben doch bei der Hausgesellschaft sehr nette Freunde gefunden, Miss."
Sie drehte sich nach ihm um, als er ihr von den Eiern auftrug. Er wich ihrem Blick aus. „Woher wissen Sie das?"
Er wurde rot und tat es mit einem Schulterzucken ab. „Ach, nur was in der Küche so geredet wird. Hier, probieren Sie mal." Er reichte ihr eine Gabel.
„Wahrscheinlich meinen Sie die Schwestern Hopedale." Lustlos stocherte sie in ihrem Ei und spießte ein bisschen Dotter auf die Gabel. „Nach den Ereignissen von letzter Nacht wollen die mich bestimmt nicht mehr sehen."
„Meinen Sie?"
„Ich wage zu bezweifeln, dass wir in guten Kreisen noch empfangen werden."
„Die sollten sich glücklich schätzen, Sie überhaupt empfangen zu dürfen", sagte Gil hinter ihr.
Verwirrt drehte sie sich um.
Er hatte die Stirn gerunzelt, glättete sie jedoch, als er merkte, wie sie ihn ansah.
„Wenn ich das mal so sagen darf."
„Ja, dürfen Sie." Sie lächelte ihn an. „Das ist sehr nett von Ihnen."
„Danke, Miss."
Sie wandte sich wieder um und nahm einen Schluck Tee. Nun war er etwas abgekühlt, genau richtig. „Aber selbst wenn sie mich empfangen würden, wüsste ich nicht, ob ich mit den Schwestern Hopedale über das sprechen könnte, was gestern vorgefallen ist. Meist reden wir nur übers Wetter - oder über Hüte. Ja, sehr häufig über Hüte, wovon ich herzlich wenig verstehe, aber es scheint eines ihrer Lieblingsthemen zu sein. Und einmal haben wir auch sehr angeregt darüber diskutiert, ob Zitronencreme oder Schokoladenpudding als Nachtisch vorzuziehen sei. Es scheint mir ein gewagter Schritt, von der Puddingfrage dazu überzuleiten, dass mein Bruder einen Viscount halb totgeschlagen hat."
„Ja, Miss", sagte er und trat abermals an die Anrichte. „Wir hätten hier noch köstliche kleine Heringe. Oder lieber eine Scheibe Schinken?"
„Aber vielleicht ist das ja einfach so. Vielleicht reden Londoner Damen ja nur über das Wetter, über Hüte und Puddings. Bei uns in den Kolonien ist alles etwas anders."
„Tatsächlich, Miss?" Gil zögerte kurz, nahm dann die Platte mit den Heringen und kam zurück an den Tisch.
„Oh ja", sagte sie entschieden. „Bei uns in den Kolonien ist längst nicht so wichtig, in welchen Stand ein Mann geboren wurde."
„Wirklich?" Er legte ihr einen der Heringe auf den Teller.
„Mmmm", machte sie und nahm einen winzigen Happen Hering. „Was nicht heißen soll, dass alle Menschen gleich wären oder niemand über andere urteilt. Das gibt es wahrscheinlich nirgends. Aber bei uns kommt es eher darauf an, ob ein Mann es in seinem Leben zu etwas gebracht - und ob er Geld hat. Und jeder, der sich anstrengt und hart genug arbeitet, kann es auch zu etwas bringen und viel Geld verdienen.
Wissen Sie was? Dieser Hering ist wirklich köstlich."
„Ich werde es der Köchin ausrichten", ließ Gil sich hinter ihr vernehmen. „Aber sagten Sie gerade jeder, Miss?"
„Wie bitte?" Der Hering mundete wirklich vorzüglich und hob ihre Laune ganz beträchtlich. Vielleicht brauchte sie ja einfach nur ein ordentliches Frühstück?
„Kann wirklich jeder es in Amerika zu etwas bringen?"
Sie hielt inne und schaute Gil über die Schulter an. Seine Miene war so gespannt, als hänge von ihrer Antwort alles ab. „Ja, doch, ich glaube schon. Immerhin ist mein Bruder in einer kleinen Hütte im Wald aufgewachsen. Wussten Sie das?"
Stumm schüttelte er den Kopf.
„Doch, das ist er. Und jetzt ist er ein sehr respektabler Bostoner Bürger. Alle Damen reißen sich darum, dass er zu ihren Gesellschaften kommt, und die Gentlemen schätzen seinen Rat in geschäftlichen Belangen. Aber ...", meinte sie nachdenklich und wandte sich wieder ihrem Hering zu, „... er hat natürlich nicht von Null angefangen, sondern mit Onkel Thomas' Importhandel. Doch als Samuel das Geschäft geerbt hat, war es noch sehr klein und unbedeutend. Jetzt ist es hingegen das größte seiner Art in Boston, und das allein dank Samuels harter Arbeit und seines klugen Geschäftssinns. Ich kenne einige Gentlemen in Boston, die bescheiden angefangen und es zu etwas gebracht haben."
„Gewiss, Miss."
„Eigentlich bin ich solche Leute wie den englischen Adel gar nicht gewohnt. Leute, die so sehr von ihrer Herkunft bestimmt werden. Beispielsweise verstehe ich wirklich nicht, warum Lady Emeline beschlossen hat, Lord Vale zu heiraten."
„Weil sie beide von Stand sind, Miss. Klingt mir nur vernünftig, dass sie in ihren
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