0381 - Die schwebenden Leichen von Prag
los!« schrie er.
»Wir hängen nur noch an einer…«
***
Er hatte recht!
Wir hingen tatsächlich nur noch an einer Leine. Die anderen vier flatterten uns um die Ohren. Der Korb hatte sich so stark nach links geneigt, daß wir plötzlich aufeinanderlagen. Wir wunderten uns, daß wir nicht herausgefallen waren.
Auch Dvorak hatte die Lage erfaßt. »Nicht rühren!« schrie er.
»Nur nicht bewegen! Bleibt so liegen!« Er fingerte nach der herunterhängenden Ventilleine.
Vergeblich.
Ich kam mir vor wie auf einer lebensgefährlichen Schaukel, die uns jeden Augenblick »abladen« konnte.
Vielleicht hätte ich es nicht einmal als so schlimm empfunden, wenn dieser verdammte Korb nicht so geschwankt hätte. Unternehmen konnten wir gegen die Pendelbewegungen nichts. Wir lagen kreuz und quer übereinander in dem Korb und warteten nur darauf, endlich Bodenkontakt zubekommen. Wir wollten die Landung heil und sicher überstehen!
Noch war es nicht soweit!
Ich sah die verzerrten Gesichter meiner Begleiter. Auch ihnen war verdammt unwohl. Selbst Dvorak schien so etwas noch nicht erlebt zu haben. Er lag gekrümmt da, seine Lippen bewegten sich. Ich verstand kein Wort, weil er erstens nur flüsterte und ihm zweitens Flugwind die Laute von den Lippen riß.
Auf mir lag Josef Dinek. Er keuchte. Der warme Atem streifte mein Gesicht. Ich nahm den Geruch von Kümmel wahr. Seine Augen hatte er verdreht. Er starrte den flatternden Leinen entgegen, die über uns vom Wind gepeitscht wurden.
Ich hätte gern über den Korbrand hinweggeschaut, um zu erfahren, wie weit wir uns noch vom Erdboden entfernt befanden. Das gelang mir nicht. Zudem durfte ich mich nicht bewegen, das hätte für uns eine Katastrophe bedeuten können.
Die schwebenden Leichen interessierten mich nicht mehr. Jetzt ging es allein um unser Leben und ob wir es schafften, den Aufschlag zu überstehen. Es war auch gut möglich, daß wir in irgendwelchen Baumkronen landeten und dort hängenblieben. Jedenfalls waren wir nicht mehr in der Lage, eine normale Landung einzuleiten.
Schatten erschienen plötzlich. Baumkronen! Ein Ruck stoppte meine Gedanken.
Plötzlich wurden wir durcheinandergewirbelt, rutschten, fielen und kippten. Wir hörten das Krachen und Brechen. Ein Ast peitschte in unseren Korb und schrammte über meine Wange.
Daß ich blutete, nahm ich nur am Rande wahr, denn um uns herum befand sich das reine Chaos. Ich wußte nicht mehr, wo oben oder unten war. Die Welt stürzte förmlich zusammen. Es war ein mörderischer Trubel, das Krachen und Brechen der Äste wollte überhaupt kein Ende mehr nehmen. Wir bekamen die gnadenlosen und harten Schläge der Äste mit. Blätter streiften durch mein Gesicht, etwas rammte in meinen Magen, ich mußte würgen und merkte, daß mich eine nicht unter Kontrolle zu bekommende Kraft aus dem Korb kippte.
Ich fiel in das Geäst. Zum Glück nicht aus einer großen Höhe.
Zwar brachen einige Zweige ab, andere bogen sich durch, aber ich bekam dennoch einen starken Ast zu fassen, an dem ich mich festklammern konnte.
Zudem fanden meine trampelnden Füße auch den nötigen Halt, so daß ich zwar unbequem, aber stand.
So blieb ich auch. Die Augen hielt ich geschlossen, um der Verletzungsgefahr vorzubeugen.
Über mir sah ich die Krone. Sie hatte ein gewaltiges Loch bekommen, verursacht durch unser Gewicht.
Immer mehr Gas wich aus dem Ballon. Er schrumpfte.
Jo Dinek und ich hatten es überstanden.
Der Tscheche hing – ebenso wie ich – innerhalb der mächtigen Krone, aber ein Stück höher als ich. Zudem hielt er sich noch an einer Leine fest. Sein Gesicht sah ich durch den Blättervorhang als einen hellen Fleck schimmern.
Ich grinste ihm zu.
Ob er es gesehen hatte, wußte ich nicht. Jedenfalls sagte er: »Wir leben, Sinclair.«
»Das merke ich. Und wo steckt Dvorak?«
»Keine Ahnung.«
Ich machte mir Sorgen um den sympathischen Ballonfahrer. Zunächst jedoch mußte ich mich aus meiner mißlichen Lage befreien.
Es klappte. Einige Äste und Zweige mußte ich knicken, andere dienten mir als »Treppe«, und ich kam einigermaßen sicher am Boden an.
Dort blieb ich stehen.
Meine Knie zitterten. Es war der Schock, der mich voll getroffen hatte. So blieb ich stehen und schaute zu, wie Dinek herunterkletterte.
Mit einem letzten Sprung kam er neben mir auf. Er setzte sich sofort, denn auch ihn hatte der Schock erwischt.
Er schwieg, als ich ihn ansprach. Meine Gedanken galten dem dritten Mann. Ihn mußte ich unbedingt
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