0381 - Die schwebenden Leichen von Prag
Rabbi Loew und seinen Golem.
Er hatte in Prag gelebt und war für Johann Wolfgang von Goethe das Vorbild für den Dr. Faustus.
Lebte das Erbe des Rabbi noch?
Meine Handflächen wurden feucht, als ich mich mit diesem Gedanken beschäftigte. Wenn ja, konnte ich damit rechnen, einen künstlichen Menschen zu sehen.
War diese vor mir liegende Leiche bereits ein Meilenstein auf diesem blasphemischen Weg dorthin? So etwas war schwer zu glauben, ich wollte es auch nicht ausschließen und erinnerte mich wieder an Goethes Faust, wo im zweiten Teil der Homunkulus, ein kleiner zierlicher Mensch, auf chemischem Wege und nach der Schrift des Paracelsus geschaffen worden war. Wenn es ein Erbe des Rabbi gab, stand ich ihm wahrscheinlich gegenüber, und es mußte auch jemand da sein, der es übernommen hatte, und der mir bis dato noch unbekannt war.
Künstliches Leben!
Das durfte nicht sein. Das war die Herausforderung der Schöpfung. Das war wider alle Regeln und Gesetze. Ich beschloß, mit aller Macht dagegen anzugehen, auch wenn eine Person wie Lilith dahinterstand und von dem absolut Bösen, Luzifer, gestützt wurde.
Noch konnte ich nichts tun. Nur da stehen, schauen und warten, ob sich etwas ereignete.
Nach wie vor zeichnete sich das L auf meinem Kreuz ab. Ich wußte inzwischen, daß sich Lilith trotz allem überschätzt hatte, denn ihr war es nicht gelungen, das Kreuz so zu manipulieren, daß es ihren Gesetzen gehorchte.
Ich ließ das Kreuz liegen, beugte mich über den Toten und strich mit meinen Fingerspitzen über die Haut. Ich wollte sehen, wie weit sie schon einer Verwesung anheim gefallen war oder ob ein gewisses Leben in ihr steckte.
Sie fühlte sich glatt an und trotzdem wellig. An einigen Stellen war sie auch weich, so daß ich sie eindrücken konnte. Nein, dieser Tote war echt. Weshalb er durch die Luft geschwebt war, wußte ich nicht. Vielleicht würde ich dieses Rätsel auch nie lösen können.
Erst einmal konnte er mir nicht mehr gefährlich werden, auch wenn mein Kreuz sich so verändert hatte. Der Tote lag auf dem Bett, das Kreuz hatte seinen Platz ebenfalls gefunden, und ich dachte daran, daß es drei Leichen gab.
Wo befanden sich die beiden anderen?
Nach wie vor stand das Fenster offen. Die etwas kühlere Nachtluft fuhr in den Raum und fächerte auch in mein Gesicht, als ich mich dem Fenster näherte, hinauslehnte und in den Hof schaute.
Es überwogen die Schatten.
Wie lange Finger glitten sie an den Hauswänden hoch, bedeckten auch die Fenster und lagen ebenfalls auf dem Boden des Hinterhofs.
Von den schwebenden Leichen sah ich nichts mehr.
Trotzdem konnte ich mir nicht vorstellen, daß sie sich zurückgezogen hatten. Die Toten mußten sich in meiner Nähe befinden, davon war ich fest überzeugt. Wenn nicht im Hof, dann möglicherweise woanders.
Ich trat wieder zurück. Die erste Leiche lag noch immer regungslos auf meinem Bett. Das Kreuz in einem falschen Rot. Sogar aus dieser Entfernung konnte ich das L erkennen, was mir wiederum überhaupt nicht gefiel. Aber ich würde es schon wegbekommen, das nahm ich mir vor.
Zur Tür ging ich. Die erste Leiche war durch ein offenes Fenster in mein Zimmer eingedrungen. Weshalb sollten sich dann die beiden anderen nicht auch im Hotel befinden. Schlupflöcher gab es sicherlich genug.
Ich war vorsichtig, als ich die Tür öffnete, da ich keine unliebsame Überraschung erleben wollte. Leider knarrte sie ein wenig, so daß es mir nicht gelang, sie lautlos aufzuziehen.
Schräg schob ich mich durch den Spalt, schaute zuerst nach rechts, dann nach links in den Flur.
An beiden Seiten entdeckte ich das gleiche!
Es waren die schwebenden Leichen, die wie zwei Wächter über dem Flurboden standen…
***
Zuerst hatte ich mich zurückziehen wollen, dann überwand ich mich selbst und schaute die Leichen genauer an. Es waren die Toten mit den weißen Haaren und den kalkigen Gesichtern. Sie hatten ihre Arme ausgestreckt, die Hände gespreizt, als wollten sie ständig nach irgendeinem Gegner greifen, den sie würgen konnten.
Ich zog mich wieder zurück. Einen Fluchtversuch würden die lauernden Leichen sicherlich zu verhindern suchen. Bevor ich mich absetzte, mußte ich aber erst das Geheimnis herausfinden, das mit dem Toten auf meinem Bett verbunden war.
Ich zog mich wieder zurück und schloß auch die Tür hinter mir zu. Auf halbem Weg zum Bett geschah etwas, womit ich nicht gerechnet hatte, obwohl es im Prinzip so banal war.
Das Telefon schrillte.
Es war
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