0382 - Der Teufel wohnt nebenan
trotzdem sage ich Ihnen, dass selbst das größte Genie nicht das Recht hat, sich zu nehmen, was ihm nicht gehört. Wenn die Kunst überhaupt eine Aufgabe haben kann, muss es die sein, den Menschen etwas zu geben, zu vermitteln. Und jetzt wollen wir beide Schluss machen. Heute früh werden wir weitersehen. Sie haben mich auf einen Gedanken gebracht, Joe Breen. Jetzt kann ich mir nämlich einen Grund denken, warum Mick Forther sterben musste. Einen verrückten Grund zwar, aber immerhin einen Grund.«
***
Am Vormittag gegen elf Uhr tauchte Lieutenant Brackly wieder bei uns auf. Wir gingen zusammen zu Mister High, unserem Districtschef, und ließen auch die beiden Vernehmungsspezialisten kommen, die Sullivan, Batton und die übrigen Gangster vernommen hatten. Im gemeinsamen Gespräch ergab sich der neue Stand der Dinge. Danach konnte man annehmen, dass Carola Full, die Privatdetektivin, nicht von den Baustellenräubern getötet worden war.
»Es hörte sich unglaubliche an«, schnaufte Brackly. »Da ist eine Frau auf der Fährte dieser Zementdiebe, und sie wird an dem Ort ermordet, wo die nächste Räuberei stattfindet, aber es hat überhaupt nichts mit diesen Gangstern zu tun.«
Das Telefon auf dem Schreibtisch vor Mr. High klingelte. Ein paar Sekunden später hielt mir der Chef den Hörer hin.
»Eine interessante Neuigkeit. Im Polizeihauptquartier der Stadtpolizei hat sich eine Putzfrau gemeldet. Sie hat heute früh in den Zeitungen von dem Tod der Privatdetektivin gelesen und jetzt hat sie Angst, wer ihr das letzte Gehalt bezahlt. Sie hat nämlich das Büro von Carola Full sauber gehalten.«
»Ein Büro?«, fragte ich ungläubig und griff zum Hörer. »Hallo, hier spricht Cotton. Halten Sie die Frau fest. Wir kommen sofort.«
Ich warf den Hörer zurück und sah den dicken Lieutenant fragend an.
»Natürlich komme ich mit«, schnaufte Brackly, kurzatmig wie immer. »Ein Büro. Ich hatte mich schon gewundert, dass in ihrer Wohnung nichts zu finden war. Wenn sie auch vor uns durchsucht worden ist, so kann der-Täter doch nicht jedes Papierfetzchen mitgenommen haben. Hoffentlich wusste der Mann nichts von ihrem Büro. Sonst finden wir dort auch wieder nichts.«
Während Phil und ich den Jaguar benutzten, fuhr Brackly mit dem Mercury hinter uns her, den ich in der vergangene Nacht benutzt hatte. Das Hauptquartier der Stadtpolizei ist die Zentrale für rund vierundzwanzigtausend Polizisten und zweitausend zivile Angestellte des Police Departements der Stadt NewYork. Entsprechend ist der Betrieb dort, der-Tag und Nacht herrscht. Wir ließen den Mann an der Auskunft im Hause herumtelefonieren, bis er herausgefunden hatte, in welchem Zimmer die Putzfrau saß.
Es war eine Frau schlecht zu bestimmenden Alters, irgendwo zwischen vierzig und fünfzig, und sie hatte das Mundwerk, das geeignet gewesen wäre, das Rauschen der Niagara-Fälle zu überschreien. Wir machten uns mit dem uniformierten Sergeanten bekannt, der Bill Hampton hieß und uns angerufen hatte.
Nachdem Mrs. Strangefool, die Parkettpflegerin bei der Privatdetektivin, uns ihre Ansichten über den Beruf ihrer Brötchengeberin erzählt hatte, kam Phil zur Sache.
»Wo liegt das Büro?«, fragte er.
»Gar nicht weit von hier. In der Pearl Street. Deswegen bin ich doch gleich hierher gekommen.«
»Waren Sie heute früh schon im Büro?«
»Sicher doch. Ich gehe jeden Morgen um sieben ins Büro, öffne das Fenster einen kleinen Spalt und leere die Aschenbecher aus. Manchmal saß Miss Full nämlich noch spät nachts im Büro, und dann hat sie immer viel geraucht.«
»Sah es im Büro aus, als ob Fremde dort eingedrungen wären?«
»Nein. Wie kommen sie denn darauf? Dort gibt es doch nichts zu holen.«
»Das werden wir bald wissen«, brummte ich. »Vielleicht gibt es dort noch eine Menge interessanter Dinge, die ein gewisser Mensch gern holen würde, wenn er überhaupt wüsste, dass Carola Full dieses Büro hatte.«
Wir ließen die Frau in den Jaguar steigen, während Phil in Bracklys Mercury Platz fand. Bis zu Pearl Street war es ein Katzensprung, aber wir hatten unsere liebe Not, einen Parkplatz zu finden.
Das Büro lag im Erdgeschoss eines schmalbrüstigen Mietshauses. In den darüberliegenden fünf Etagen schienen ausschließlich kinderreiche Familien zu wohnen, denn als wir ins Haus kamen, mussten wir uns fast die Ohren zuhalten. Aus jedem Stockwerk drang Plärren, Kreischen, fröhliches Gekicher und lautes Rufen von wer weiß wie vielen Kinderstimmen.
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