0382 - Höllen-Friedhof
gingen. Deshalb ließ ich ihn.
Ich schaute mir die Tür an und ließ den Strahl der kleinen Leuchte über sie wandern. Stabil sah sie tatsächlich nicht mehr aus, auch das Schloß taugte nichts mehr, und ich rechnete damit, daß sie nicht einmal abgeschlossen war.
Mit einer Hand stemmte ich sie auf.
Das knarrende und schleifende Geräusch produzierte auf meinen Rücken eine Gänsehaut und würde jeden warnen, der in der alten Leichenhalle hockte und wartete.
Vorsichtig trat ich über die Schwelle. Ich war gespannt bis in die letzte Muskelfaser.
Leider hatte ich keine Ahnung, wie man früher die Leichenhallen gebaut hatte. Das war auch nicht weiter schlimm, denn das Innere dieses alten Hauses bestand gewissermaßen aus einem einzigen dunklen Raum, der trotzdem bewohnt oder besetzt war, denn aus einer für mich nicht feststellbaren Richtung ertönte eine zischende Stimme, die ich trotz der Verstellung kannte.
Sie gehörte Petar Kopanek.
»Komm rein, Sinclair, und lösch das Licht deiner Lampe!«
***
Zuerst wollte ich nicht die kleine Lampe hochnehmen, um in die Runde zu leuchten, aber ich wußte auch nicht, ob der andere nicht vielleicht eine Schußwaffe in der Hand hielt und auf mich zielte.
Also schaltete ich die Lampe aus. Kaum hatte die Dunkelheit mich erfaßt, schlich ich mich nach rechts.
Sekunden verstrichen. Nichts war zu hören. Nicht einmal das Atmen oder das Schleifen irgendwelcher Schritte. Ich stand wie eine Säule da und atmete durch die Nase aus.
Endlich meldete sich Kopanek. »Ich wußte, daß du geflohen warst und habe dich hier erwartet.«
»Wie schön«, erwiderte ich.
Er verstand meinen Spott. Seine nächsten Worte beinhalteten eine Warnung. »Sei nicht zu überheblich, denn du näherst dich hier Dingen, die auch dir über den Kopf wachsen können, das wollte ich dir nur sagen. Es ist gefährlich, sich den Kräften der Hölle entgegenzustellen und sie zu stören.«
»Das ist mir bekannt. Wenn Sie etwas von mir wollen, kommen Sie endlich zur Sache. Weshalb machen Sie kein Licht? Fürchten Sie sich davor, mir gegenüberzutreten?«
»Nein, bestimmt nicht.«
»Weshalb die Dunkelheit?«
»Keine Sorge, Sinclair, ich werde gleich Licht machen. Du bist ein wenig früh erschienen. Eine halbe Stunde später wäre besser gewesen.«
»Aus welchem Grund?«
»Das wirst du gleich sehen. Keine Sorge, Engländer und Feind des Teufels. Ich enthalte dir nichts vor.« Er hatte die letzten Worte in einem leicht kichernden Tonfall gesprochen, und dann hörte ich ihn auch gehen.
Dieser Mensch setzte seine Schritte sehr vorsichtig. Dennoch erzeugte er dabei Echos. Aus welcher Richtung sie kamen, konnte ich allerdings nicht feststellen. Die Akustik in dieser alten Leichenhalle war schon außergewöhnlich.
Während meiner Einsätze hatte ich immer darauf geschaut, auch Gefühle zu beachten und sie nicht zu unterdrücken. Sie waren oft genug das Warnbarometer. Auch diesmal war ich in einer Lage, die sich von Sekunde zu Sekunde zuspitzte. Da verdichtete sich etwas, das ich mit dem Begriff magische Gefahr umschreiben wollte.
Noch war ich passiv, stand auf dem Fleck und lauschte den Schritten des für mich noch unsichtbaren Tschechen.
Er bewegte sich nicht nur in eine Richtung, sondern schritt hin und her. Mal mußte er rechts von mir sein, mal links, aber er blieb dabei stets hörbar.
»Bald!« hörte ich ihn flüstern. »Bald ist es soweit. Dann wirst du es erleben.«
»Was denn?«
»Die Macht des Satans«, erklärte er mir voller Inbrunst. »Sie wird dich schocken, und du wirst erkennen, wie klein und häßlich du als Mensch gegen ihn bist.«
»Das hat man mir schon oft gesagt.«
»Aber hier ist es anders«, hörte ich ihn sagen. »Ganz anders, wenn du verstehst. Du stehst auf historisch magischem Boden. Vor einigen Jahrhunderten hat hier ein bedeutendes Ereignis stattgefunden, über das viele Menschen gelacht haben und das bis in die heutige Zeit hinein nicht anerkannt worden ist. Ich aber weiß es besser.«
»Denkst du dabei an die Erschaffung des künstlichen Lebens durch Magie?« hakte ich nach.
»Das genau ist es.«
Ich wußte um den Traum der Menschheit. Es gab immer einige, die sich gottgleich sahen und ihm ins Handwerk pfuschen wollten.
Waren es im Mittelalter noch die Alchimisten gewesen, die den Stein der Weisen suchten, um aus einem unedlen Metall das edle, das Gold, herzustellen, so versuchte man später, künstliches Leben zu erschaffen, und dieser Vorsatz hat die Menschen immer
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