0382 - Höllen-Friedhof
die kleine Flasche im Wagen. Bisher hatte er noch keinen Blick über die Schulter zurückgeworfen, das holte er nun nach und drehte den Kopf so, daß er in die Richtung schauen konnte, aus der er gekommen war.
Wladimir sah die beiden Leichen!
Hatten sie vorhin praktisch über dem Eingang gelauert, zwar höher als das Dach, so hatten sie sich nun in Bewegung gesetzt und glitten lautlos auf ihn zu.
Dabei verloren sie auch an Höhe. Wenn sie so weiter schwebten, würden sie ihn irgendwann erreicht haben, das stand für ihn fest.
Und wenn sie ihn packten, brachten sie ihn auch um.
Er ging wieder weiter, bis er vor zwei Grabsteinen stand, die genau in seinem Blickfeld lagen. Sie waren noch beschriftet, nur mühsam zu entziffern, aber der Russe wollte wissen, wer unter dieser feuchten Erde begraben lag.
Deshalb ging er in die Knie.
Erst jetzt kam ihm so richtig die unheimliche Atmosphäre auf diesem alten Friedhof zu Bewußtsein. Der Vergleich mit dem schleichenden Grauen fiel ihm ein, das immer tiefer in seinen Körper drang und allmählich von seinem Geist Besitz nahm.
Furcht überkam ihn.
Da er sich weiter vom Eingang der Leichenhalle entfernt hatte, hörte er die Stimmen der beiden Männer nicht mehr. Auch Geräusche außerhalb des Friedhofs drangen nicht bis zu diesem Platz.
Er hockte allein in der ihn umgebenden Stille, die das ungute Gefühl in ihm noch steigerte.
Kinder und auch Erwachsene machen sich oft dadurch Mut, daß sie mit sich selbst sprechen, wenn sie irgendwelche unheimlichen Stätten besuchen. So erging es auch ihm. Er wollte reden, um endlich etwas Menschliches zu hören, und so las er murmelnd vor, was in den ersten Grabstein eingemeißelt worden war.
»Hier ruht ein Mann, der darauf wartet, daß der Teufel gewinnt und die Kräfte des Lichts besiegt. Er hat sich dem Bösen verschrieben, er wollte es locken, doch er hat verloren…«
Ein seltsamer Spruch, dachte Wladimir. So etwas hatte er auf einem Grabstein noch nie gelesen. Wann der Verstorbene gelebt hatte, stand nicht darauf. Und auf dem zweiten Grabstein las er ähnliche Worte.
Dem Russen rann eine Gänsehaut über den Rücken. Er spürte den Schauer der Furcht und dieses kalte Gefühl im Nacken, das ihn vor einer drohenden Gefahr warnte.
Wladimir drehte sich um.
Heftig erschrak er. Zwar hatte er damit gerechnet, dennoch war er überrascht, denn die schwebenden Leichen hatten die Distanz zu ihm lautlos überwunden.
Sie waren nur noch eine Körperlänge entfernt, hatten die Arme ausgestreckt und die Hände zu würgebereiten Krallen geformt, um sie in den Körper des Russen schlagen zu können.
Wladimir Golenkow reagierte schnell. Das hatte man ihm beigebracht. Aus seiner hockenden Haltung tauchte er nach rechts weg, berührte den Boden und überrollte sich dort. Altes Laub raschelte noch unter ihm, als er sich bewegte und sich durch diese Aktion aus der unmittelbaren Reichweite der schwebenden Leichen brachte. So brauchte er wenigstens nicht die kalten Totenfinger auf seiner Haut zu spüren.
Kaum befand er sich in einer relativen Sicherheit, als er auf die Füße schnellte. In einem Reflex hob er auch die Waffe, zog aber nicht durch, da ihm eingefallen war, daß es keinen Sinn hatte, auf diese Geschöpfe zu feuern. Sie waren eben stärker als er.
Und sie wollten ihn in die Zange nehmen. Aus welchem Grund sie dies vorhatten, war ihm unbekannt, da er sie nicht direkt attackiert hatte. Eine Leiche jedenfalls drehte einen Halbkreis, um in seinen Rücken zu gelangen.
Wieder war der Russe schneller als die in der Luft schwebenden Toten. Sein Weg führte ihn wieder auf die alte Leichenhalle zu, deren Seitenteil er erreichte.
Er stützte sich an der Außenmauer ab und hörte plötzlich das grausame Lachen.
Gedämpft klang es. Dennoch war aus den Lauten herauszuhören, daß es nicht John Sinclair ausgestoßen hatte. Demnach mußte Kopanek die Oberhand behalten haben.
Man konnte Wladimir Golenkow alles nachsagen, ein Feigling war er gewiß nicht. Das bewies er auch in den folgenden Sekunden, als er sich in Bewegung setzte.
Mit raumgreifenden Schritten näherte er sich dem normalen Eingang der Leichenhalle. Er hörte die Stimme des Tschechen, wie sie den Triumph herausbrüllte, und er verstand das Wort Homunkulus.
Sollte es tatsächlich wahr sein?
Er spürte den innerlichen Druck, der sein Blut in Wallung versetzte. Beinahe hatte er das Gefühl, zu spät zu kommen, und auch die beiden Leichen wollten ihn aufhalten, denn sie hatten
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