0383 - Londons Gruselkammer Nr. 1
brauchte ich nicht lange zu fahnden. Den Namen kannte ich auswendig.
Ich kam wieder hoch. Suko sah meine veränderte Gesichtsfarbe, fragte nicht erst, sondern drückte sich an mir vorbei in die Kabine und folgte dem Blick meines schräg nach unten zeigenden Fingers.
Ungefähr dreißig Sekunden sprach der Inspektor kein Wort. Dann erhob er sich und war ebenfalls bleich geworden.
»Und?«
Er lachte leise. »Das sieht mir ganz nach einer Arbeit meines Freundes Kamikaze aus.«
Diesmal wiedersprach ich nicht.
Suko schüttelte den Kopf. »Den Rolls haben wir nicht gesehen, Kamikaze und Samaran auch nicht, aber ich bin sicher, daß sich die beiden in der Nähe aufhalten.«
»Die stecken im Verlies«, präzisierte ich.
»Dann wissen wir ja, wo wir hinzugehen haben.«
»Noch nicht«, sagte ich und bremste Sukos Eifer. »Ich möchte erst noch mal zurück zum Wagen.«
»Weshalb?«
»Weil ich den Quader…«
»Klar, John.«
Ich hatte den zweiten Würfel mitgenommen. Wir waren zuvor beim Yard vorbeigefahren und hatten uns den zweiten Würfel aus dem Panzerschrank geben lassen.
Immer tragen wollte ich ihn nicht, deshalb hatte ich ihn im Wagen gelassen. Den Kofferraum schloß ich stets ab, dennoch wurde ich ein ungutes Gefühl nicht los: den Würfel ohne Bewachung liegenzulassen, bereitete mir ein schlechtes Gewissen.
Zudem bereitete mir Suko ein wenig Kummer. Der Inspektor hatte mich einfach ziehen lassen und keinerlei Anstalten getroffen, sich selbst um den Würfel zu kümmern. Das gab mir zu denken, und ich konnte eigentlich davon ausgehen, daß Suko die Zeit meiner Abwesenheit nutzen würde, um schon vorzugehen.
Er war voll und ganz auf Kamikaze fixiert. Dieser Killer hatte es ihm wahrlich angetan, und Suko wollte diese rücksichtslose Mordmaschine endlich hinter Gittern wissen.
Ich nahm den Würfel an mich. Er unterschied sich in Nichts von dem Original, um das es eine so heiße Jagd gegeben hatte. Er lag beinahe weich in meiner Hand, und seine Oberfläche fühlte sich warm an. Da ich ihn nicht dauernd tragen wollte, versteckte ich ihn unter meiner Jacke, als ich mich wieder auf den Rückweg machte.
Wie ich es mir schon gedacht hatte, Suko war nicht mehr zu sehen. Er hatte die Chance genutzt und sich klammheimlich verdrückt. Ob dies gut war, wagte ich zu bezweifeln.
Ich hätte eigentlich die Pflicht gehabt, die Kollegen von der Mordkommission zu alarmieren. In Anbetracht der Tatsachen ließ ich es bleiben. Der Killer selbst war wichtiger, ihn würde ich noch zu fassen bekommen, wenn er sich in der Nähe aufhielt.
Als Verstecke eigneten sich die Verliese des London Dungeon ausgezeichnet, und ich machte mich auf den Weg in die schreckliche Historie einer unheimlichen Vergangenheit…
***
Der Familienvater aus Deutschland vergaß die eigenen Schmerzen, als er seine Tochter sah, die sich in der Gewalt eines ihm ebenfalls fremden Mannes befand.
Neben ihm standen Uta und Jörg. Auch der Junge zitterte vor Angst, und sein Gesicht wirkte im fahlen Licht wie das eines Toten.
Bei seiner Mutter war dies ebenfalls der Fall. Uta Gerber hielt sich nur mehr mühsam aufrecht.
»Willkommen«, sagte Samaran. Mehr brauchte er nicht zu sprechen. Dafür glitt sein Blick prüfend über die Gestalt des Mannes.
Heinz stand noch immer in gebückter Haltung. Er hatte nur den Kopf erhoben, um besser sehen zu können.
Eine Antwort gab Gerber nicht. Vor seinen Augen verschwamm das Bild in einem Schleier von Tränen. Er dachte über seine und die Lage der Familie nach und kam zu dem Entschluß, daß sie alle verdammt tief in einer Sache steckten, aus der es vielleicht keinen Ausweg mehr gab.
Der gequälte Gesichtsausdruck seiner Tochter bereitete ihm zusätzliche seelische Schmerzen, und er bat den Mann mit flüsternder Stimme, Edda loszulassen.
»Weshalb?« fragte Samaran zurück. »Sie steht hier gut.«
»Aber sie ist ein Kind…«
»Na und?«
Es war eine kalte, brutale Antwort, die beide Eltern erschreckte.
Uta schüttelte den Kopf. Sie stand wie auf dem Sprung, aber sie wußte genau, daß sie keine Chance gegen diese Menschen hatte, und nur deshalb hielt sie sich mit Taten zurück.
Aber reden mußte sie. Es war wie ein Zwang. Die Worte konnten sie nicht länger zurückhalten. So fragte sie mit krächzender Stimme:
»Was sind Sie nur für ein Mensch, Mister? Was haben wir Ihnen getan?«
»Nichts«, erwiderte Samaran.
»Dann lassen Sie uns laufen!« schrie Uta.
»Nicht so laut, sonst werde ich böse. Ihr hattet
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