0387 - Das Grauen geht auf große Fahrt
gleichen Ton.
»Er wohnt nicht mehr hier«, sagte sie. »Schon seit einem Jahr nicht mehr.«
»Wissen Sie, wo er sich aufhält, wo er jetzt wohnt oder arbeitet?«
»Nein. Er ist eines Tages einfach aus seinem Zimmer bei mir ausgezogen und hat mir nicht gesagt, wohin er ging.«
»Dürfen wir uns das Zimmer ansehen, in dem er bei Ihnen gewohnt hat, Miss Flynn?«
»Warum?« Sie warf den Zigarettenrest auf den Boden und trat ihn mit einem Fuß aus, der in einer Sandalette steckte, die einmal goldfarben gewesen war.
»Es interessiert uns.«
Sie nickte. »Na gut, warum nicht. Putzen Sie sich die Füße auf der Matte ab.«
Ich sah auf die Zigarettenkippe, dann blickte ich Phil an und schüttelte leicht den Kopf. Sie schien Sauberkeit nur von anderen zu verlangen.
Sie ging durch einen schmalen Korridor vor uns, an dessen Wänden Fotos hinter Glas hingen. Sie zeigten Linda, die Tätowierte von allen Seiten und in vielen Posen. »Alte Erinnerungen«, erklärte sie. »Damals hätten Sie mich sehen sollen, G-men. Die größten Shows der Welt rissen sich um mich. Heute langt es nur ab und zu noch für den Rummel. Kommen Sie!«
Sie führte uns durch ihr Wohnzimmer, das einigermaßen sauber und aufgeräumt aussah. Dann zog sie eine Tür auf.
Ich sah mich um. Dabei fiel mir etwas auf. An der Wand neben der Tür hing ein Foto. Es zeigte einen großen, starken Mann. Es konnte sich um »Großfuß« handeln.
»Ist er das?« Ich tippte auf das Glas, beugte mich vor und las auch die Widmung in krakeliger Handschrift: For Linda in Love!
***
»Er scheint nicht nur ihr Untermieter gewesen zu sein«, sagte ich zu Phil, als ich in Wills ehemalige Bleibe eintrat. Sie hatte mir bestätigt, dass es sich bei dem Mann auf dem Foto um den handelte, den wir suchten.
Auch Phil betrachtete das Bild.
»Sie wissen also wirklich nicht, wo sich Will jetzt aufhält?«, vergewisserte ich mich nochmals.
»Nein, ich sagte es bereits. Ist es schlimm, was Will getan hat? Er war immer eine Seele von Mensch.«
»Wir haben nicht behauptet, dass er etwas getan hat«, mischte sich Phil ein.
»Ich könnte mir denken«, sagte ich und blieb vor dem Foto stehen, »dass Will Wolfe vielleicht aus einem ganz besonderem Grund bei Ihnen ausgezogen ist, Miss Flynn!«
»Und warum?«
»Vielleicht war eine andere Frau im Spiel!«
»Woher wollen Sie das wissen, Agent Cotton?«
»Das war nur eine Vermutung.«
Ich gab Phil einen Wink. Wir traten den Rückmarsch aus dem alten Mietshaus an.
An der Haustür sagte ich zu Phil: »Warte hier einen Augenblick auf mich.« Ich kurvte um das alte Haus herum.
»Was soll der Zauber?«, fragte Phil.
»Steig ein!« Ich fuhr die Straße hinunter, hielt nach einer Meile an, wendete auf der Fahrbahn und rollte langsam wieder zurück. Ungefähr zweihundert Yards vor dem alten Haus, in dem Linda Flynn wohnte, parkte ich rechts unter einer Linde.
Ich schaltete Standlicht ein. Weit vor uns, in Höhe der Haustür, befand sich eine Straßenlaterne. Nebel wallte vor der Windschutzscheibe. Es nieselte stärker.
»Warte noch einen Augenblick, Phil. Vielleicht erleben wir den Auftritt noch.«
»Welchen Auftritt?«
»Den von Linda, der Tätowierten. Ich habe das Gefühl, dass sie gleich aus dem Haus kommen wird.«
»Gefühl«, brummte Phil missmutig und gähnte. »Teenager haben Gefühle, du solltest Verstand haben. Und woher willst du wissen, dass wir Linda nochmals sehen?«
»Aus zwei Gründen. Wegen Will Wolfes Foto, das noch in ihrem Zimmer hängt. Außerdem gibt es in ihrer Wohnung und in dem ganzen Haus keinen Telefonanschluss.«
»Überstunde erwache!«, sagte Phil und drückte sich tiefer in seinen Sitz.
***
Eine halbe Stunde verging.
Dann trat das ein, was ich erwartet hatte. Im Schein der Straßenlampe erkannte ich eine Frau, die aus dem Haus kam. Ich stieß Phil an. Sie trug einen hellen Regenmantel, den ich vorhin noch an der Garderobe in Linda Flynns Wohnung hatte hängen sehen.
Strohgelbes Haar war unter einem roten Kopftuch schwach zu erkennen. Die Straßenlampe vor dem Haus schwankte im leichten Wind hin und her und beleuchtete den Eingang.
»Wenn sie uns bemerkt, ist alles Essig«, murmelte Phil neben mir.
»Abwarten!«
Linda Flynn klappte einem Regenschirm auf und trippelte eilig in der Richtung davon, in die die Schnauze meines Wagens zeigte.
Ich ließ den Motor an und rollte weiter. »Pass auf«, schärfte ich Phil ein.
»Und wohin wird sie deiner Meinung nach gehen?«
»Wahrscheinlich zu Will
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