039 - Der Griff aus dem Nichts
befanden.
Er tastete sich die Wand entlang, die parallel zur Außenmauer verlief, immer darauf gefaßt, gegen ein Hindernis zu stoßen. Dennoch war er erschrocken, als sein Fuß gegen etwas Hartes stieß und ein hohles Geräusch erklang.
Dorian bückte sich, um das Hindernis mit den Händen abzutasten. Es war eine glatte Fläche, die etwa fünfzig Zentimeter breit sein mochte und auf beiden Seiten schräg nach unten abfiel. Oberteil und Unterteil waren trapezförmig.
Noch bevor Dorian die Ausmaße des lackierten Holzobjekts kannte, wußte er, worum es sich handelte.
„Was ist das?“ fragte Dorothy.
„Gehen wir weiter“, sagte Dorian statt einer Antwort.
„Warum sagen Sie mir nicht, was Sie entdeckt haben?“ drängte Dorothy. „Ich …“
Plötzlich ging das Licht an. Dorian schloß geblendet die Augen. Als er sie wieder öffnete, sah er, daß sie sich in einem Raum befanden, in dem an die dreißig Särge übereinander gestapelt waren. Zwei von ihnen waren ohne Deckel. In dem einen Sarg lag ein menschlicher Torso, in dem anderen eine gut erhaltene Männerleiche, von der nur die Arme fehlten.
Dorothy öffnete den Mund zu einem Schrei, aber noch bevor ein Laut über ihre Lippen kam, hatte ihr Dorian eine Hand vor den Mund gepreßt.
„Wir müssen von hier fort“, sagte er und rannte auf eine nahe Tür zu. „Wenn hier jemand die Beleuchtung eingeschaltet hat, dann hat er auch vor, herzukommen.“
Er erreichte die Tür und öffnete sie. Dahinter lag ein kurzer Korridor mit zwei Türen an den Seiten und einer am Ende. Auch der Korridor war beleuchtet. Bevor Dorian ihn betrat, bückte er sich nach einem Brecheisen, das neben dem Türstock an der Wand lehnte. Er zog Dorothy mit sich und lehnte die Tür hinter sich nur an.
Dorothys Körper wurde wie von einem Schüttelfrost geschüttelt. Ihre Lippen bewegten sich, als wollte sie etwas sagen, aber kein Laut kam aus ihrem Mund. Es gehörte nicht viel dazu, um zu erkennen, daß sie einen Schock erlitten hatte.
Er gab ihr einen Klaps auf die Wange, um sie zu ernüchtern.
„Wegen ein paar Särge brauchen Sie nicht gleich die Fassung zu verlieren“, herrschte er sie an. „Sie hätten sich denken können, daß Fuller mit Leichen und Leichenteilen experimentiert. Beten Sie zu Gott, daß kein schlimmerer Anblick auf Sie wartet.“
Dorothy hatte sich wieder soweit gefaßt, daß sie stammelnd sprechen konnte.
„Der Mann ohne Arme – ist Dan Connery. Er wurde vor zwei Tagen – bestattet.“
„Vielleicht haben Sie den anderen, von dem nur noch der Körper übrig ist, ebenfalls gekannt“, sagte Dorian und sah ihr dabei in die Augen.
Für einen Moment schien es, als würde sie wieder die Kontrolle über sich verlieren, aber diesmal gelang es ihr, sich zu beherrschen.
„Warum sagen Sie mir das?“ fragte sie irritiert.
„Weil ich es mir nicht leisten kann, daß Sie schlappmachen“, erwiderte er brutal und deutete auf die gegenüberliegende Tür. „Schon im nächsten Raum können wir eine noch schaurigere Entdeckung machen. Vielleicht kommen uns die Arme oder Beine des Mannes entgegen. Ich habe das erlebt, Dorothy. Und Sie werden sich an diese Dinge ebenfalls gewöhnen müssen, oder Sie zerbrechen daran. Ich kann keine Rücksicht auf Sie nehmen. Es war Ihr Wunsch, mich zu begleiten.“
Sie wand sich unter seinem Griff.
„Hören Sie auf, bitte!“ sagte sie und schluchzte. „Manchmal glaube ich, daß Sie selbst Robert sind. Warum sind Sie so grausam zu mir?“
„Vielleicht deshalb, um Sie auf die Begegnung mit Robert vorzubereiten“, antwortete Dorian kalt.
Er konnte keine Rücksicht auf sie nehmen und mußte sie um ihrer selbst willen so hart anfassen. „Er hat bestimmt das Aussehen von jemandem angenommen, den Sie gut kennen, Dorothy.“
Aus dem Raum mit den Särgen erklang ein Geräusch. Das Öffnen und Schließen einer Tür war zu hören, Schritte ertönten, kamen näher.
„Kein Laut!“ befahl Dorian und blickte durch den Türspalt.
Eine kleine, plumpe Frau mexikanischer Abstammung erschien in seinem Blickfeld. Sie beugte sich über den Sarg mit dem Torso, warf ihm eine Kußhand hin und wandte sich dann der Tür zu, hinter der Dorian stand. Sie kam mit gleichmäßigen Schritten und ohne Eile näher. Um ihre vollen Lippen lag ein süffisantes Lächeln.
Als wüßte sie, daß ich mich hier versteckte, durchzuckte es Dorian. Aber warum gab sie sich dann so gelassen? Er glaubte, ihre Absicht zu durchschauen. Sie hoffte, daß er sie
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