0391 - Der flüsternde Tod
vernahm er das Stöhnen.
Auch wir hatten es in der Stille gehört, taten aber nichts und überließen Tasso die Initiative.
Der bückte sich, um unter einen Wagen zu kriechen. Er sah zuerst die beiden Hände, die sich ihm entgegenstreckten, ergriff die Gelenke und zog einen Jungen unter dem Wagen hervor, der sich geschockt zeigte und laut anfing zu weinen.
Wir konnten mit diesem Zeugen noch nichts anfangen. Das halbe Kind war von Tasso auf den Boden gestellt worden. Der Zigeuner sprach auf den Findling ein, bekam aber keine Antworten.
»Er muß Schreckliches erlebt haben«, sagte Tasso zu uns. »Wahrscheinlich hat er alles mitbekommen.«
»Was mitbekommen?«
»Das möchte ich ihn fragen. Aber wie es aussieht, bekommen wir vorerst nichts aus ihm heraus.«
»Gehen Sie mit ihm in einen Wagen«, schlug ich vor.
Tasso war der gleichen Ansicht. »Wenn sich etwas ergibt, sage ich Ihnen Bescheid.«
»Sicher.«
Wir schauten den beiden nach, wie sie auf ein Wohnmobil zugingen. Tasso hatte einen Arm auf die Schultern des Jungen gelegt, der einen langen Mantel trug, als könnte er durch ihn Schutz bekommen.
Ich zündete mir eine Zigarette an.
»Denkst du nicht mal an Darkwater?« fragte Suko.
»Das tue ich die ganze Zeit über.«
»Und?«
»Ich hoffe, daß wir dieses Problem hier nicht haben.«
»Ich auch.«
Der Rauch floß über meine Lippen. In der Dunkelheit schaute ich zu, wie er sich verteilte. Der Wind war etwas stärker geworden. Er brachte keinen Brandgeruch mehr mit.
Mein Blick richtete sich gegen den Wohnwagen des Sippenchefs.
Im Innern brannte Licht. Durch das große Fenster konnte ich die Schattenrisse der beiden Insassen erkennen.
»Was ist der flüsternde Tod?« erkundigte sich Suko. »Kannst du mir das sagen?«
»Nein.«
»Weshalb rückte dieser Tasso nicht mit der Sprache heraus? Hat er Angst?«
»Ich kann ihn nicht zwingen.«
»Jetzt ja, wo die Menschen verschwunden sind.« Suko wurde ärgerlich. »Ich komme mir vor wie ein Kind, das sein Spielzeug sucht. Wir sind bisher nur herumgelaufen.«
»Stimmt.«
Die Schatten hinter dem Wagenfenster bewegten sich. Wenig später wurde die Tür aufgedrückt. Tasso verließ den Wagen, entdeckte den glühenden Kreis meiner Zigarette und kam hastig auf uns zu.
»Ja, die Vermutung stimmte. Der flüsternde Tod war hier.«
»Hat der Junge ihn genau gesehen?« fragte Suko.
»Er beschrieb ihn.«
»Und weiter? Was ist mit den Menschen geschehen, hat dieser Dämon oder diese Erscheinung sie umgebracht?«
Tasso hob die Schultern. »Das ist eben schwer feststellbar. Es gab eine Panik, als er auftauchte. Die meisten sind geflohen, ja, eigentlich alle. Sie nahmen auch die Alten mit.«
»Dann hätten wir ihnen begegnen müssen«, warf ich ein.
Tasso schüttelte den Kopf. Dabei deutete er in die entgegengesetzte Richtung. »Glauben Sie nur nicht, daß sie dorthin gelaufen sind, wo die Kirche stand. Jedenfalls war er hier.«
Ich trat meine Zigarette sorgfältig aus. »Wie schön, daß wir es wissen. Nur möchte ich jetzt noch erfahren, wie der flüsternde Tod überhaupt aussieht. Bisher habe ich mir von ihm noch kein Bild machen können. Brechen Sie endlich Ihr Schweigen, Tasso!«
Er schaute mich starr an. »Sie wollen es wissen?« wiederholte er.
Über seine Lippen huschte ein Lächeln. »Bitte, ich habe nichts dagegen. Drehen Sie sich um, da ist er!«
Nicht nur ich wandte mich um, auch Suko. Und beide schauten wir auf den gewaltigen Schädel, der dicht über den Bäumen am Waldrand schwebte.
»Das ist der flüsternde Tod«, hörten wir Tasso mit zittriger Stimme sagen…
***
Rolly Watson war in diesem Moment sowohl körperlich als auch geistig zu unbeweglich, um eingreifen zu können. Er sah auf den Rücken seiner Freundin, die direkt in eine Teufelsspur hineingetreten war, und er wußte, daß es für sie keine Rettung mehr gab.
Sie stand da, wirkte für einen Augenblick wie gemalt und gleichzeitig durchsichtig. Ihr Inneres glühte auf. Jedes Atom, jedes Molekül schien von zahlreichen Lichtfunken umstrahlt zu sein und erhellte die gesamte Gestalt. Sogar das geblümte Kleid bekam einen anderen Glanz, bevor die Frau samt ihrer Kleidung vor den Augen des entsetzten Mannes zusammensackte und als Staubfahne zu Boden fiel. Sie rieselte ineinander.
Noch nie hatte der Mann etwas Schrecklicheres gesehen. Rolly merkte nicht, daß ihm die Tasche aus der Hand rutschte, er hatte nur Augen für das schreckliche Bild.
Peggy Brown war lautlos gestorben. Nicht
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