0391 - Der flüsternde Tod
geschminkten Lippen des schwebenden Monstrums, auf die sich mein Blick einpendelte und sich einfach nicht lösen konnte.
Diese Lippen hatten es mir angetan. Sie bildeten keinen Mund, sondern ein widerliches Maul, das in die Breite gezogen war, als wollte es uns mit einem Grinsen zeigen, wer hier die Kontrolle übernommen hatte.
Ansonsten war der Schädel dunkel, aber er hob sich trotzdem von der ihn umgebenden Finsternis ab, als wären seine äußeren Konturen genau nachgezeichnet worden.
Dieser Schädel strahlte das Grauen ab.
Ein kaltes Gefühl, das auch mich traf und mich seltsam berührte.
Wahrscheinlich spürte es jeder Mensch, der den Schädel zu Gesicht bekam, aber ich fragte mich und schaute dabei in die großen, runden, innen gezackten leeren Augenhöhlen, weshalb man dieses Zerrbild des Schreckens den flüsternden Tod genannt hatte.
Tasso und Suko rahmten mich ein. Es fiel dem Zigeuner schwer, seinen Arm zu heben. Er schaffte es soeben noch und deutete auf den Schädel. »Das ist er.«
»Und weshalb nennt man ihn den flüsternden Tod?« wollte ich wissen.
»Schauen Sie auf seinen Mund.«
»Das tue ich bereits.«
»Wenn er sich bewegt, ist es zu spät.«
»Für den Betrachter?«
»Ja.« Tasso schluckte und fuhr fort. »Er holt ihn zu sich. Er flüstert, denn sein Mund ist etwas Besonderes. Seine Lippen sind Lockungen, denen niemand widerstehen kann. Wehe dem, der einmal in ihre Macht gerät. Er ist verloren.«
»Wir sollten ihn uns näher anschauen!« schlug Suko vor. Tasso erschrak. »Nein, wollen Sie freiwillig in den Tod gehen?«
»Das nicht.«
»Dann bleiben Sie.« Ich lächelte. »Nein, wir müssen etwas tun. Der flüsternde Tod ist gefährlich. Man muß ihn vernichten…«
»Das schafft niemand.«
»Wir werden sehen.« Ich wollte ihn mit dem Kreuz attackieren, denn den Bumerang trug ich momentan nicht bei mir. Er lag in meinem Bentley, aber vielleicht schaffte es mein geweihter Talisman. Dazu kam es nicht mehr. Der Schädel veränderte sich. Zwar blieben seine Lippen rot und auch aufeinandergepreßt, aber hinter dieser dunklen, knochigen Maske spielte sich eine Szene ab, die uns Rätsel aufgab. Dort entstand ein Gesicht! Zuerst glaubte ich noch an eine Täuschung, als ich die Umrisseerkannte, die als einzelne Teile aufeinander zuglitten, sich dabei völlig lautlos bewegten und sich wie die Teile eines Puzzles zusammensetzten, um das Gesicht zu bilden.
Ich hatte es noch nie gesehen und konnte nur erkennen, daß es sich dabei um das Gesicht einer Frau oder eines Mädchens handelte.
Es stand wie ein Hologramm innerhalb des Schädels, war nur schwach zu sehen, aber dennoch in seinen Einzelteilen zu erkennen, wenn man genauer hinschaute.
Tasso gab ächzende Laute ab. Er ging einen Schritt zurück und hielt sich dabei an uns fest. »Das«, flüsterte er, »das ist es. Das ist das Gesicht von dem Mädchen, das wir suchten.«
»Sarita?« fragte Suko.
Er nickte, denn sprechen konnte er kaum mehr. »Sarita, sie ist dem flüsternden Tod in die Falle gelaufen. Sie hat es nicht geschafft. Sie ist tot, sie muß tot sein. O Himmel.« Er schlug die Hände gegen seine Wangen und schüttelte den Kopf.
Ich verstand es nicht. Wir hatten die Mauer gesehen, die Ketten an den alten Steinen, und es war Suko gewesen, der Stoffreste von Saritas Kleidung entdeckt hatte.
Sie mußte verbrannt sein.
Jetzt sahen wir sie innerhalb des Schädels, und ich fragte mich, wie das zusammenlief.
Auch Tasso konnte keine Antwort geben, weil er nervlich zu stark belastet war.
Ich ging vorerst davon aus, daß Sarita und der flüsternde Tod eine Verbindung eingegangen waren, eine andere Erklärung kam für mich nicht in Frage.
»Nimm das Kreuz!« verlangte Suko.
»Ja, ich wollte es.«
»Und?«
Wieder mußte ich meinen Vorsatz zurückdrängen, denn am Schädel tat sich etwas. »Schau dir mal den Mund an, Suko.«
Auch meinem Freund fiel auf, daß sich die Lippen bewegten. Ein Zucken lief durch die breiten, blutrot schimmernden Ringe. Von den Winkeln her schoben sie sich zusammen, so daß der Mund kleiner wurde und beinahe ein herzförmiges Aussehen annahm.
Alles lief lautlos ab, wir hörten weder den Wind noch ein Flüstern, und ich fragte mich, weshalb man dem Schädel einen solch außergewöhnlichen Namen gegeben hatte.
»Vielleicht wird er gleich sprechen!« vermutete Suko. »Ich möchte ihn gern flüstern hören.«
Er tat uns den Gefallen nicht. Aber er blieb auch nicht ohne Reaktion, denn sein Mund hatte sich
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