0391 - Susans Knochenmann
Sprung von einer Hälfte der Erdkugel zur anderen bewegte, vergaß manchmal derlei wichtige Kleinigkeiten, weil er einfach nichts von der Durchquerung der vielen Zeitzonen mitbekam - es war noch weitaus extremer als beim Flug mit einem Überschalljet.
Zamorra klopfte auf die Motorhaube der Zwölfzylinder-Limousine. »Es dürfte wenig Zweck haben, sich mit dem Wagen in das Ruhshour-Gewühl zu stürzen. Der Londoner Verkehr ist schlimmer und verstopfter als der von Frankfurt und Neapel zusammen. Das gibt nur unnötigen Spritverbrauch und noch unnötigere Abgase. Schlimm genug, daß die anderen Wagen stinken, wir müssen uns da nicht anschließen. Spring mit Gryf und komm hierher zurück, ja?«
»Hat da nicht vorhin in Florida noch eine was von ›mit dem Automobil‹ oder so ähnlich gebrabbelt, der meine Druiden-Kräfte nicht über Gebühr in Anspruch nehmen wollte?« lästerte Gryf. »Ist ja schon gut. Komm, Nicole. Wir entfernen uns von diesem heuchlerischen Monsieur.«
Im nächsten Moment war er mit ihr verschwunden.
In einer überfüllten Stadt wie London würde es nicht einmal besonders auffallen, wenn jemand vor den Augen anderer Leute aus dem Nichts heraus erschien oder verschwand. Die würden sich höchstens mal die Augen reiben und an eine Halluzination glauben.
Derweil hielt Zamorra nach einer Telefonzelle Ausschau, um Susan Boyd anzurufen und sich eine detaillierte Wegbeschreibung geben zu lassen. Die würde Augen machen… Zamorra schmunzelte. Er fand eine der roten Fernsprechzellen, verzichtete auf einen Blick auf den Notizzettel und wählte eine der beiden Nummern aus dem Gedächtnis.
Ein Zeitungsverlag meldete sich.
Im ersten Moment glaubte Zamorra sich verwählt zu haben, schaute doch nach und wußte dann, daß er den richtigen Anschluß hatte - den der Firma, die Susan Boyd ihm genannt hatte. Eigentlich hatte er ihre Privatnummer zuerst anwählen wollen, dabei aber die falsche erwischt.
Nein, Miß Susan Boyd war nicht im Verlag. Dort wäre sie auch ohnehin nur in Ausnahmefällen anzutreffen, da sie freie Mitarbeiterin sei und ihre Arbeit daheim verrichtete. Dort sei sie jetzt wohl auch zu finden.
Nachdenklich geworden, bedankte Zamorra sich für die Auskunft und hängte ein. Eine Zeitungsredaktion! Das hatte Susan Boyd ihm nicht verraten. Sollte es sich um einen Trick handeln, um an ein Interview für eine Reportage zu kommen? Das würde auch erklären, weshalb sie nicht von zu Hause, sondern von der Redaktion aus angerufen hatte. Eine dienstliche Angelegenheit…
Im Prinzip hatte Zamorra nichts gegen Interviews und Reportagen einzuwenden. Aber diese Art und Weise roch ihm nach einem Trick. Wollte Susan ihn hereinlegen, austricksen, um später einen Verriß zu bringen und ihn ›den weltberühmtem Geisterjäger‹, lächerlich zu machen?
Rechnen mußte man mit allem.
Zamorra war sich nicht ganz sicher, was er nun wirklich von dieser Sache halten sollte. Auf jeden Fall rief er jetzt die andere Nummer an, den Privatanschluß.
Es dauerte eine Weile, bis abgehoben wurde.
Zamorra zuckte zurück. Ein bösartiges Gelächter scholl ihm entgegen, das einer baßtiefen Männerstimme entsprang. »Geh zum Teufel«, hörte er zwischen dem düsteren Lachen, und dann wurde eingehängt.
Zamorra versuchte es noch einmal. Sollte er sich verwählt haben?
Diesmal kam ein durchdringender Pfeifton aus dem Hörer, der schmerzhaft in sein Ohr gellte. Zamorra verzichtete auf einen dritten Versuch.
Er verließ die Telefonzelle und schleuderte zum Wagen zurück. Er war sicher, daß er Susan Boyd nicht mehr ans Telefon bekommen würde. Gleichzeitig war aber auch sein Verdacht zerstreut worden, daß es sich um eine Reporter-Falle handeln könne. Sicher, es hätte eine vorbereitete Aktion sein können, um ihn am Telefon weiter zu ködern. Denn das böse Gelächter und der Pfeifton wiesen auf eine Spukerscheinung hin. Aber wer Zamorras Ankunft erwartete, konnte nicht damit rechnen, daß er jetzt schon hier war. Zumal er nicht einmal dazu gekommen war, seinen Namen zu nennen.
Der Spuk war echt.
Und er schien verhindern zu wollen, daß Zamorra und Susan Boyd hier vor Ort miteinander in Kontakt kamen. Der Spuk war Susan zuvorgekommen.
Das bedeutete, daß er alles andere als ungefährlich war.
Jetzt, wußte Zamorra, gab es einen wirklich äußerst handfesten Grund, einzugreifen…
***
Susan Boyd fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut. Sie rechnete jeden Moment damit, wieder die Nähe des Unsichtbaren zu spüren.
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