0392 - Phantom-Kommando
vor der Kiste und hatte den Arm erhoben, ließ ihn aber wieder sinken, denn der Maskenträger hatte ihr einen anderen Befehl gegeben. »Sie sollen das Band aufschneiden«, sagte Hester.
»Wieso?«
»Er will es!«
Meine Spannung hatte sich gelegt. Ich fühlte mich wieder besser.
Furcht kannte ich in diesen Augenblicken auch nicht. Zwar sah es so aus, als wollte der Fremde das Geschehen diktieren, aber die Handlungen übernahm ich ganz allein.
Sogar die Beretta ließ ich verschwinden.
Hester stand dicht vor mir. Wir berührten uns nicht. Ich spürte, daß sich zwischen uns ein Feld der Spannung aufgebaut hatte. Die Frau sah aus, als wollte sie etwas sagen, doch sie traute sich nicht.
»Keine Sorge!« hauchte ich. »Das schaffen wir.«
»Gordon sagte es auch immer. Dann haben sie ihn furchtbar gequält und schließlich erwischt.«
»Nicht jeder ist wie Ihr Mann, Hester.« Ich bückte mich und schob die Zange unter das Metallband an der Oberseite. Die beiden Backen klappten zu.
Mit einem singenden Geräusch wurde das Band in der Mitte getrennt. Ich sprang schnell zur Seite, weil ich von den Bändern nicht erwischt werden wollte.
Der Rest war eine Kleinigkeit. Innerhalb weniger Sekunden war die Kiste von den Metallbändern befreit worden. Hester hatte mitgedacht und ein schmales Stemmeisen oder einen Meißel geholt.
Ich knackte die Kiste auf. Nägel schauten aus dem Holz und wurden gebogen, wenn ich hebelte.
Von oben her konnte ich schließlich hineinschauen. Zu sehen war außer Sägemehl und dickem Ölpapier nichts.
»Er kommt, Mr. Sinclair!«
Damit konnte nur dieser Maskenmann gemeint sein. Die Warnung war gut gesprochen worden und gerade noch rechtzeitig, denn als ich mich umdrehte, schaute ich in das Silbergesicht unseres Gegners, der stehengeblieben war. Und dies in einer sehr bestimmten Haltung, die mich mißtrauisch und gleichzeitig wach werden ließ.
Etwas war mit ihm.
Verglich ich das mit einem Menschen, kam ich zu dem Entschluß, daß diese Person etwas vorhatte. Wir hatten ihn zu dem »Schatz« hingeführt, die Kiste geöffnet, das war es, was er hatte haben wollen. Brauchte er uns jetzt noch?
Nein. Deshalb würde er auch schießen!
Diese Gedanken funkten in meinem Kopf, und ich handelte blitzschnell und überraschend, auch für Hester, denn als ich mich bewegte, hörte ich ihren leisen Schrei.
Ich hatte genau richtig getippt und mich keine Sekunde zu früh zur Seite geworfen. Der Pfeil befand sich bereits unterwegs, doch ich stand nicht mehr dort, wo er mich hatte erwischen sollen.
Über die Kiste jagte der brennende Gegenstand in einer schrägen Linie hinweg, und dann schoß ich.
Es war hart, aber ich mußte so handeln. Der andere sollte nicht mehr dazu kommen, seine Artgenossen zu warnen. Meine geweihte Silberkugel traf haargenau.
Silber gegen Silber.
Meines war stärker.
Noch während sich der andere auf den Beinen befand, erfolgte bereits die Reaktion. Die Maske in seinem Gesicht zerlief, und das flüssig gewordene Metall floß wie ein langer Strom in die Tiefe, wobei es am Hals entlangrann und auch die Brust nicht verschonte.
Der Schütze selbst brach zusammen. Sein Köcher schrammte über den feuchten rauhen Steinboden, als er mit ihm Kontakt bekam. Das Blatt hatte sich gewendet. Nicht ich war der Verlierer, sondern der andere. Aber in meinem Besitz befand sich jetzt das, was der andere hatte haben wollen.
Ich steckte die Waffe weg und kümmerte mich um Hester Shapiro. Sie lehnte an der Wand. »Meine Güte«, hauchte sie. »Fast hätte ich gedacht, daß alles vorbei war. Ich merkte, was der andere vorhatte. Seine verdammten Gedanken konnte ich genau spüren…«
»Danke für die Warnung!« unterbrach ich sie.
Hester winkte ab. »Ich bin ja so froh, daß Sie ihn erledigt haben. Großer Himmel, wie schnell Sie waren…«
»Das lernt man im Laufe der Zeit.« Ich lächelte ihr zu. »So, jetzt nun werden wir uns mal um die Kiste kümmern.«
Hester kam zögernd näher. Sie hatte sich schon gebückt. Aus dieser Haltung heraus fragte sie: »Sollen wir die Kiste nach oben tragen, Mr. Sinclair?«
»Nein, nur das nicht. Wir werden diesen silbernen Gott auspacken. Wozu mehr tragen?«
Auch ich hatte mich vorgebeugt. Meine Hände wühlten bereits das Ölpapier durcheinander. Es fühlte sich fettig und irgendwie schmierig an, als hätte ich meine Finger mit einer Seife beschmiert.
Gordon Shapiro hatte seine Beute, gut verpackt. Sogar doppelt und dreifach. Hester und ich mühten uns ab,
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