0394 - Der knöcherne Tod
über die Schlachtfelder des Dreißigjährigen Krieges geschritten und durch Hiroshima. Er hatte vergiftete Haarnadeln gesehen und terroristische Bomben in Flugzeugen. Leid und Elend berührten ihn nicht. Er brachte es mit sich, wohin sein Weg ihn auch führte.
»Es mißfällt mir, daß du glaubst, mir Befehle erteilen zu können, Fürst der Finsternis«, sagte er. »Fürchtest du nicht, daß meine Klinge auch einst deinen Lebensfaden trennt?«
»Ich fürchte es nicht«, sagte Leonardo. »Denn schon einmal hast du an mir versagt.«
»Das ist wahr«, sagte der Sensenmann.
»Und darum mußt du mir gehorchen«, fuhr Leonardo fort.
»Auch das ist wahr«, sagte der Sensenmann. »Weshalb brauchst du meine Anwesenheit?«
»Du wirst vielleicht jemandes Leben nehmen«, sagte Leonardo.
»Dazu bedarf es keiner besonderen Befehle, Fürst der Finsternis. Und es bedarf auch nicht meiner Gegenwart. Wem es bestimmt ist, zu sterben, der stirbt. Ich nehme nur die, die über das Maß der Bestimmung hinaus gehen. Jene, die nicht im Buch des Todes verzeichnet sind. Sie nehme ich, wie es mir gefällt.«
»Dennoch wirst du mich begleiten«, sagte Leonardo. Wozu sollte er dem Sensenmann Erläuterungen geben? Es reichte, wenn er gehorchte und mitkam. Mehr brauchte er nicht zu wissen. Leonardo hielt es nicht für nötig, jenen Erklärungen zu geben, die ihm Gehorsam schuldeten. Sie hatten zu tun, was er ihnen befahl. Das Denken besorgte er.
Und er hatte gedacht, es sei vielleicht ratsam, mit der Anwesenheit des Sensenmannes eventuelle Fallensteller abzuschrecken oder zu verunsichern. Ich nehme nur die, die über das Maß der Bestimmung hinaus gehen und nicht im Buch des Todes verzeichnet sind. Es würde Sara Moon vielleicht davon abhalten, weil sie damit rechnen mußte, trotz aller Vorbereitungen selbst getötet zu werden.
Sie kannte den Sensenmann, wie ihn jeder kannte…
»Gehen wir«, sagte der Fürst der Finsternis.
Und auf die Art, in der die Höllischen große Entfernungen zurückzulegen pflegten, verließen sie die Dimension der Schwefelklüfte und erreichten den Ort, der Leonardo deMontagne bezeichnet worden war…
***
Sie fanden ein Hotel in der Via Nazionale, nur eine Steinwurfweite von der stazione centrale entfernt, dem Hauptbahnhof. Entsprechend war die Geräuschkulisse, aber da sie zwei Zimmer mit Fenster in die andere Richtung bekamen, was das nicht weiter schlimm. Zumindest waren sie weit besser untergebracht als in der Notkammer im Motel der Autobahnraststätte.
»Wir fahren erst gar nicht mehr mit raus«, sagte Zamorra. »Rogier, tust du uns den Gefallen und bringst unsere Sachen hierher? Nimm einen Scheck mit, blanko, trag die Summe ein, die unsere nicht stattfindende Übernachtung drüben kostet, und die Sache ist erledigt.«
»Geht in Ordnung«, sagte deNoe. »Ich nehme an, daß ich in etwa einer Stunde wieder hier sein kann - sofern ich mein Auto wiederfinde.«
»… und es noch nicht geklaut ist«, ergänzte Nicole.
DeNoe sah sie strafend an. »Das eine geht doch wohl aus dem anderen hervor, oder? Wenn es geklaut ist, kann ich es natürlich nicht wiederfinden.«
»Vielleicht überfährt dich der Dieb unterwegs«, spekulierte Nicole. »Äh -du hast Zamorras Einsatzköfferchen im Kofferraum. Kannst du uns das eben noch hier vorbeibringen? Oder besser, ich übernehme es am Bahnhofsplatz im Vorbeifahren. Du mußt ja doch hier entlang.«
»Na gut. Dadurch verzögert sich aber mein Wiedererscheinen um etwa zwei Minuten«, sagte er.
»Laß dir Zeit, Rogier. Außerdem - es ist schon relativ spät. Um diese Zeit fahren auch die Florentiner nicht mehr ganz so hektisch.«
»Und vor allem nicht so zahlreich, daß man über den Gehsteig an einer vor roter Ampel wartenden Fahrzeugschlange vorbeifahren muß, weil sie die Straße in ihrer ganzen Breite blockieren…«
Er verließ das Hotelfoyer.
Gryf sah Zamorra an. »Du hast doch noch etwas vor heute nacht, oder?« fragte er lauernd.
»Ja. Ich möchte das Amulett aktivieren. Je schneller es wieder einsatzbereit ist, desto besser ist es.«
»Na ja… dann wünsche ich dir viel Spaß dabei. Ich denke, ich werde noch einen Bummel durch verschiedene Lokale machen und zusehen, ob es hübsche Florentinerinnen gibt.«
»Ich dachte, du seist ermüdet und brauchtest eine Ruhepause«, frozzelte Zamorra.
Gryf grinste. »Para-müde, ja. Aber alles andere an mir ist ja von den magischen Anstrengungen nicht in Mitleidenschaft gezogen worden. Außerdem tut mir ein wenig
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