0395 - Luzifers Paradies
Kunstwerke, die es überall gab, die Verzierungen am Thron und an den Wänden… nichts konnte sich seit damals verändert haben. Alles war altertümlich, wie im tiefsten Mittelalter. Hier war die Zeit einfach stehengeblieben.
Gut ein Dutzend Zwerge befand sich im Saal, die meisten von ihnen mit Harnischen und Helmen versehen und mit Schwertern, Streitäxten und Lanzen bewaffnet. So klein sie waren, konnten sie damit doch verheerende Wirkungen erzielen. Wer von einer solchen Lanze getroffen wurde, dem konnte es hinterher gleichgültig sein, ob ihr Schaft zwei oder vier Meter lang war.
Frauen konnte Sibylle unter den Zwergen nicht entdecken. Oder beim Volk der Alben gab es keine äußerlichen Merkmale, nach denen man Mann und Frau unterscheiden konnte, aber daran konnte Sibylle nicht glauben.
Der Zwerg auf dem Thron, der fast nur aus Bart zu bestehen schien, der lang und grau bis zu seinen Füßen herab hing, entsprach dem typischen Klischeebild, das die Menschen von dem kleinen Volk entwickelt hatten. Wo außer dem Bart noch etwas zu erkennen war, sah Sibylle allerdings kostbare Kleidung, weiche Seiden- und Samtstoffe, kunstvoll bestickt und mit Edelsteinen besetzt, und auf dem Kopf prangte eine flache Krone aus Gold, in der es von Brillanten nur so flirrte.
»Laurin…?« flüsterte sie.
In seinen kalten Augen irrlichterte es. Er erhob sich. Die flache Krone verrutschte auf seinem haarlosen Schädel etwas, aber das schien ihn nicht zu stören. »Auf die Knie, Weib«, dröhnte er mit einer Donnerstimme, die Sibylle ihm nie zugetraut hätte. Aber etwas in dieser Stimme erinnerte sie an den Klang, den sie mitschwingen hörte, als auf der Hofstätte und dann auch hier die Zaubersprüche von Mäusen und Riesen laut wurden.
Drei Zwerge packten zu und rissen Sibylle zu Boden. Sie war überrascht über die ungeheure Kraft, die diese kleinen Geschöpfe besaßen, die kaum größer als acht- oder zehnjährige Kinder waren.
Sie kniete vor dem Zwergenthron! Sie durfte es nicht einmal mehr wagen, den Kopf zu heben und den König anzuschauen. Einer der drei bewaffneten Zwerge, die Sibylle zu Boden gerissen hatten, hatte ihr blitzschnell zugeflüstert, wie sie sich dem König gegenüber zu benehmen hatte.
Den Kopf geneigt halten! Ihn ehrerbietig in der dritten Person anreden und nur sprechen, wenn er es ausdrücklich erlaubte! Jedem Befehl unverzüglich gehorchen!
»… oder du stirbst einen langsamen Tod, denn wessen er überdrüssig ist, der lebt nicht weiter in seiner Umgebung…«
»Sie folgte nicht dem Ruf, den Unser Diener Ihr in Ihren Träumen zukommen ließ«, schnarrte der Zwergenkönig kalt. »So sahen Wir Uns genötigt, Sie durch die Riesen herbeiholen zu lassen. Wissen Sie denn, daß man Unserem Rufe zu folgen hat, sobald er ergeht! Was erfrechte Sie sich, diesem Ruf nicht zu folgen, sondern sogar ein zauberkundiges Weib rufen zu lassen, das Unseren Boten verjagte und ihm solche Angst eingab, daß er nie wieder hierher zurückkommen wird?«
Sibylle brauchte ein paar Sekunden, um diese altertümliche Sprechweise zu begreifen. Und dann brauchte sie noch ein paar Sekunden mehr, um zu erkennen, daß der Zwerg ihr eine Frage gestellt hatte. Weil es mit der Antwort zu lange dauerte, verpaßte ihr einer ihrer Bewacher einen kräftigen Schlag gegen den Rücken, der sie aufschreien ließ. Wollte dieser Zwerg ihr die Wirbelsäule zerbrechen?
Sie war nach vorn geschleudert worden und hatte sich jetzt auf die Ellenbogen zu stützen. Eine kalte Hand, die sich in ihren Nacken preßte, hinderte sie daran, sich wieder zu erheben und in eine etwas menschenwürdigere Stellung zu begeben.
»Majestät… ich wußte nicht… daß es Ihr… Euer Ruf war! Furchtbare Alpträume…«
»Unsere Botschaft! Unser Ruf!« schnarrte der Zwerg wieder. »Ist Sie zu dumm, diesen Ruf zu verstehen, daß Sie ihn für Alpträume hielt? Uns dünkt, Wir werden nicht viel Freude an Ihr haben…«
»Majestät…«
»Nur sprechen, wenn du gefragt bist«, bellte der Zwerg neben ihr und versetzte ihr eine Kopfnuß. »Verärgere den König nicht mit deinem aufmüpfigen Verhalten!«
Sie schwieg und wartete ab.
Oben auf dem Thron, der auf einer Erhöhung stand, raschelte Stoff. Dann knarrte Leder. Seine Majestät schien wieder Platz genommen zu haben.
»Man bringe sie in die Kleiderkammer und gewande sie, wie es sich geziemt«, bellte er. »Dann führe man sie uns wieder vor. Und… man soll ihr beibringen, wie sie sich in Unserer Gegenwart zu
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