0396 - Leonardos Zauberbuch
dachte an Zamorra. Ihr blieb keine Zeit, ihn zu benachrichtigen. Sie suchte nach Papier und Bleistift, kritzelte hastig ein paar Worte darauf und legte beides auf den kleinen Tisch in ihrem Gästezimmer unter dem Dach. Sibylle würde sie morgen vermissen und nach ihr suchen, falls sie dann noch nicht wieder zurück war,, und würde diesen Zettel finden.
Ich mußte fort. Rückkehr unbestimmt. Informiere Zamorra. Zu erreichen über Rudolfo Munro in Caldaro, Telefon… Die Zahlenkolonne folgte dem Text.
Dann konzentrierte sie sich auf den Ort, von wo sie diese magische Vermischung wahrgenommen hatte. Sie hatte nur eine vage Vorstellung, und konnte deshalb das Ziel nicht direkt erreichen. Aber sie konnte in der unmittelbaren Nähe erscheinen.
Im zweitlosen Sprung begab sie sich nach Milano, zunächst ohne zu wissen, wo sie sich wirklich befand…
Sie war es, die Sid Amos beobachtet hatte. Als er Teris Nähe erkannte, verzichtete er darauf, selbst einzugreifen…
***
Vor Giorgio Gambino lag das Amulett.
Es war von einem Augenblick zum anderen dort erschienen. Im gleichen Moment war die Kraft, die er mit der Beschwörung aufgebaut hatte, ins Nichts gestoßen und verpufft.
Gambino fühlte sich ausgelaugt. Ihm war, als habe er körperliche Schwerstarbeit verrichtet. Aber ihm war klar, daß die geistig-magische Anstrengung an seinen körperlichen Reserven gezehrt hatte. Das war alles. Denn immerhin hatte er diese Beschwörung ohne irgendwelche Unterstützung durchgeführt.
Nun war er im Besitz dieses Amulettes.
Daß es jemandem gehören und dieser es über kurz oder lang vermissen würde, kam ihm nicht in den Sinn. Er betrachtete es eingehend. An winzigen Ösen befand sich eine Silberkette, mit der man sich dieses Amulett, das nur handtellergroß war, um den Hals hängen konnte.
Wie unglaublich fein und präzise es modelliert war! Er konnte nur staunen. Bis ins kleinste Detail entsprach es der Abbildung in dem großen Buch. Nur war es dort um ein Vielfaches größer gezeichnet, um auch das kleinste Detail gebührend herausarbeiten zu können.
Und wie leicht es war! Konnte das wirklich Silber sein? War dieses Edelmetall nicht viel schwerer in seiner Masse als die Scheibe, die Gambino jetzt in der Hand hielt?
Er konnte es nicht sagen. Vielleicht irrte er sich, vielleicht war dies kein echtes Silber, obgleich es blankpoliert war und wie echtes Silber blitzte. Vielleicht war die Scheibe, so dünn sie auch war, inwendig hohl gearbeitet?
Er schluckte.
Etwas, das er früher nur für eine Legende gehalten hatte, hatte er selbst vollbracht. Das Herbeiholen eines Gegenstandes mit Magie oder Geisteskraft. »Apportation«, nennt die Parapsychologie diesen Vorgang.
Das mußte er erst einmal verdauen.
Aber zugleich breitete sich ein Hochgefühl in ihm aus. Er hatte es geschafft. Er hatte das Amulett herbeigeholt, und mit ihm konnte er nun Merlin anrufen und ihn befragen.
Aber vielleicht war es nicht ratsam, das hier zu tun. Merlin war ein Weißer Magier. Dieser Raum war von Schwarzer Magie durchzogen. Unter Umständen würde das Merlin daran hindern, den Kontakt aufzunehmen, den Gambino ihm anbieten wollte.
Nun gut, es gab andere Räume. Gambinos Wohnung zum Beispiel. Entschlossen klappte er das schwere Buch zusammen. Das Amulett hängte er sich um den Hals und ließ es unter seinem Hemd verschwinden.
Kurz blitzten Terzottis Worte in seiner Erinnerung auf: »Niemand darf dieses Buch mit sich nehmen. Es bleibt hier.« Aber er konnte es nicht hierlassen. Er brauchte die Beschwörungsanleitung. Sie abzuschreiben, hatte er hier keine vernünftige Möglichkeit. Und die Seite herauszureißen ging auch nicht. Außerdem konnte er, wenn er daheim weiter in dem Buch las, vielleicht noch herausfinden, was man mit diesem Amulett alles anstellen konnte.
Es war recht unwahrscheinlich, daß der Sektenpriester so bald nach einer erfolgten Dämonenbeschwörung, überhaupt nach einer Zeremonie, wieder hier erschien. Er würde nicht merken, daß Gambino sich das Buch für einen Tag oder auch zwei auslieh. Und selbst wenn - was wollte er denn dagegen tun, wenn es erst einmal geschehen war?
Zum ersten Mal brachte es in Giorgio Gambino ein Sektenmitglied fertig, sich aktiv einem klar ausgesprochenen Befehl des diktatorischen Sektenführers zu widersetzen. Gambino ahnte nicht einmal, was er damit auslöste, als er das Buch aufnahm, keuchte, weil es so schwer war, und dann mit seiner Last die unterirdischen Räume verließ.
Er trat ins
Weitere Kostenlose Bücher