0397 - Der Fluch des Inka
welcher Öffentlichkeit, Zamorra? Diese Toten liegen seit tausend Jahren in ihren Gräbern! Wer hat sich vor tausend Jahren schon um Blaue Städte gekümmert? Da hatten die Menschen ganz andere Sorgen! Da begannen die Quechua ganz allmählich, ihren Machtbereich auszudehnen und andere Völker zu unterjochen, um das Inka-Reich entstehen zu lassen, und drüben in der Alten Welt schlugen sich die Herren Ritter und Räuber gegenseitig mit Schwertern und Morgensternen die Köpfe ein…«
Zamorra ballte die Fäuste. »Verdammt, es muß doch eine Lösung für dieses Rätsel geben! Und ich bin sicher, daß wir sie finden, wenn wir nur lange genug darüber nachdenken…«
»… bloß haben wir dieses Nachdenken erst mal zurückzustellen, weil wir zunächst das Verschwinden von Menschen stoppen müssen! Wenn wir diesem Verschwinden nicht Einhalt gebieten, erwischt es unter Umständen auch noch uns selbst. Es muß etwas mit dieser Festung zu tun haben. Etwas haftet ihr an, was nicht will, daß wir hier arbeiten und daß die Huaqueros plündern.«
»Daran habe ich auch schon gedacht, Rob. Aber ich kann keine Magie spüren, die diesen Fluch bewirkt.«
Tendyke erwiderte nichts darauf. Er wickelte die Scheibe wieder in die Folie und legte sie ins Regal zurück. Zamorra versuchte, durch die Folie hindurch, noch einmal den flirrenden Wechsel zwischen Ornamentplatte und Stadtmodell zu erkennen, konnte aber jetzt nichts mehr bemerken.
Magie mußte am Werk sein, aber auch diese Magie hatte er nicht spüren können.
Er dachte sich nur nichts dabei, weil Tendykes Worte seine Gedanken in andere Bahnen gelenkt hatten.
»Na gut, gehen wir wieder nach draußen…«
Tendyke löschte die Lampe, hängte sie aber nicht wieder an die Decke zurück. Die beiden Männer traten nach draußen. Sie sahen die Forscher und Nicole sowie den chinesischen Koch, der bereits das Essen aufgetragen hatte.
»Na, unsere Vize-Chefin mußt du mit deinen Worten aber mächtiger verärgert haben, als ich dachte, Zamorra«, sagte Tendyke. »Wenn sie sogar das Essen kalt werden läßt und sich statt dessen lieber im Dunklen herumtreibt…«
Er blieb abrupt stehen.
Zamorra wandte sich um. »Was hast du?«
»Im Dunkeln!« sagte Tendyke. »Die gute Frau ist so gut wie nachtblind. Wenn es dunkel ist, sieht jeder Maulwurf besser als sie! Wo zum Teufel treibt sie sich herum?«
»Vielleicht hockt sie in ihrem Zelt. Oder in einer der Wellblechhütten…«
»Nein. Sie ist hinüber gegangen zum Ruinen-Pfad. Sie muß… verflixt noch mal, wenn sie im Dustern herumtappt und in eines der Löcher fällt, bricht sie sich am Ende noch ihre Gräten!«
»Dazu ist sie doch viel zu gut gepolstert…«
»Ich hole, sie«, sagte Tendyke. »Warte mal, ich schnappe mir nur meine Lampe…«
Zamorra war von der Unfähigkeit der Archäologin, trotz Nachtblindheit das Camp wiederzufinden, nicht so überzeugt. »Robert, dein Essen wird kalt…«
»Sage Chang, er soll’s warmstellen. Mensch, um die gute Frau Doktor wieder herzulotsen, brauche ich doch keine fünf Jahre…«
Er war Optimist!
Zamorra hielt ihn nicht mehr fest. Wenn Tendyke seinen Braten kalt essen wollte, war das seine Sache. Zamorra wollte aber nicht den Banausen spielen. Während Tendyke mit einer Halogenstablampe losstiefelte, ließ er sich am Tisch nieder.
»Guten Appetit, Plofessol«, wünschte Chang freundlich.
***
Der Abenteurer näherte sich der Ruine. »Doktor Suarez?« rief er leise.
»Sind Sie hier? Wo stecken Sie?«
Die Archäologin antwortete nicht.
Tendyke trat durch das Tor. Er sah sich um. Der grelle Lichtkegel der Halogenlampe strich über das Gelände, erfaßte den erhöhten Sonnentempel, das Ruinenfeld der ehemaligen Wohnhäuser und die kleinen Gruben im Boden, die teilweise von den Grabräubern aufgeschaufelt worden waren. Von Dr. Suarez war nichts zu sehen.
Tendyke leuchtete die Tempelfassade aus. Er konnte sich nicht vorstellen, daß die Frau dort hinaufgestiegen war. Vielleicht lag sie in der Grabstätte, bewußtlos, daß sie nicht antworten konnte?
Tendyke ging hinüber.
Aber dort lag niemand.
Rätselnd sah er sich wieder um. Sie konnte doch auch nicht so närrisch gewesen sein, sich ins Buschdickicht zu schlagen, in dem es von Spinnen, Schlangen und Insekten wimmelte, mit denen nicht gut Kirschen essen war.
»Doktor Suarez? Wo stecken Sie? Kommen Sie, ich bringe Sie zum Camp zurück!«
Wieder kam keine Antwort.
Tendyke senkte den Blick und die Lampe. Der Lichtkegel erfaßt
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