04 - Die Tote im Klosterbrunnen
noch einen, und dann stand sie, von dem unerwarteten Anblick völlig verwirrt, in einer kleineren, niedrigen Höhle. Sie war nicht einmal zwei Meter hoch und ebenfalls dunkel und eiskalt, und die Luft war geschwängert von abscheulichstem Verwesungsgestank.
Fidelma hob die Laterne höher und streckte eine Hand aus, um sich abzustützen.
Die Oberfläche, die sie berührte, fühlte sich merkwürdig an, kalt und weich, wie nasses Fell.
Augenblicklich zog sie die Hand zurück und holte die Laterne näher heran.
Übelkeit stieg in ihr auf, und sie bemühte sich, nicht vor Ekel laut aufzuschreien.
Sie hatte ihre Hand auf einen Kopf gelegt. Einen abgeschnittenen Kopf, der auf einem Felsvorsprung in der Höhlenwand ruhte. Es war der Kopf einer Frau, deren langes, dunkles Haar in feuchten Strähnen daran klebte. Daneben lag ein zweiter Frauenkopf. Einer der Köpfe war bereits in Verwesung übergegangen, das Fleisch war weiß und von Fäulnis zerfressen, der Gestank unerträglich.
Fidelma brauchte keine hellseherischen Fähigkeiten, um zu erraten, daß es sich um die verschwundenen Köpfe von Schwester Almu und Schwester Síomha handelte. Síomhas Gesichtszüge waren noch deutlich zu erkennen.
Fidelma spürte, wie sich eine Hand auf ihre Schulter legte, und diesmal entfuhr ihr vor Schreck ein angstvolles Stöhnen. Fast wäre ihr die Laterne aus der Hand gefallen. Sie wirbelte herum und erblickte Eadulf, der sie fragend anstarrte.
»Einen Fuchs an Euern Angelhaken!« fauchte sie ihn wütend an, seufzte dann jedoch vor Erleichterung auf.
Eadulf zuckte zusammen. An irische Flüche aus dem Munde von Fidelma war er nicht gewöhnt.
»Tut mir leid. Ich dachte, Ihr wüßtet, daß ich dicht hinter Euch bin.«
Er verstummte, als sein Blick im flackernden Licht der Laterne auf Fidelmas grausige Entdeckung fiel. Würgend stieß er hervor: »Sind das …?«
Fidelma bemühte sich immer noch, ihr wild hämmerndes Herz zu beruhigen.
»Ja. Der eine stammt von Schwester Síomha, der andere vermutlich von Schwester Almu.«
»Ich verstehe das nicht. Warum hat man ihre Köpfe hierhergebracht?«
»Zur Zeit ist noch vieles schwer zu verstehen«, erwiderte Fidelma. »Wir sollten uns mal gründlich hier umsehen.«
In der niedrigen Höhle mußte Fidelma den Kopf einziehen. Mit der Laterne in der Hand schob sie sich tastend in die Dunkelheit.
Plötzlich packte Eadulf sie am Handgelenk und riß sie so heftig zurück, daß sie nach Luft rang.
»Einen Schritt weiter, und Ihr wäret hineingefallen!« erklärte er, als sie ihn verwundert anstarrte.
Fidelma schaute nach unten.
Vor ihr erstreckte sich eine dunkle Fläche, von der das Licht der Laterne wie von einem Spiegel zurückgeworfen wurde: Wasser. Ein unterirdisches Becken, das den größten Teil der Höhle einnahm. Auf dem Wasser trieben mehrere, offensichtlich leere Holzfässer. Hin und wieder entstand eine leichte Wellenbewegung, und die Fässer schwammen gefährlich nah aneinander vorbei. Wenn sie sich berührten, überlegte Fidelma, entstand das dumpfe, klopfende Geräusch, das zweifellos – da die Höhle es verstärkte – weithin zu hören war.
Von dem Wasserbecken und den Fässern abgesehen schien der Raum allerdings leer zu sein. Das Becken mußte durch einen unterirdischen Zufluß aus der Meerenge gespeist werden. Das erklärte auch die kleinen Wellen, die dann und wann die Wasseroberfläche kräuselten. Es handelte sich jedoch im großen und ganzen um ein stehendes Gewässer, das nicht mit den Gezeiten stieg und fiel. Fidelma war dennoch enttäuscht: sehr ergiebig war die Höhle nicht. Sie hatte erwartet, mehr zu finden, wesentlich mehr als nur ein trostloses Wasserbecken und leere Holzfässer. Zwischen den Felsen und Steinplatten, die den Boden der Höhle bildeten, war die Erde aufgewühlt – überall war rotbrauner Schlamm.
Sie leuchtete mit der Laterne die Felswände ab. Hier und dort zeigten Spuren eines grünlichen Films auf der Oberfläche an, wo sich Metalladern durchs Gestein zogen.
Schließlich fragte Eadulf: »Was ist das da? Leuchtet doch mal in diese Richtung.«
Er deutete auf eine Stelle am Rande des Lichtkreises, den die Laterne warf, auf eine Stelle an der Höhlenwand, genau in Augenhöhe. Fidelma trat näher.
Die Einritzungen in der Wand erinnerten sie an jene, die sie oben an der Treppe über dem gewölbten Eingang zum Vorratsraum gesehen hatte.
»Der Wachhund von Dedel«, sagte Fidelma leise.
Eadulf war skeptisch.
»Ein Wachhund? Für mich sieht
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