04 - Die Tote im Klosterbrunnen
sich dort zwei Berittene auf ihren Pferden in gefährlichem Tempo einen Weg durch den Schnee bahnten. Die Reiter trieben ihre Pferde zu so rasantem und waghalsigem Ritt an, daß sie sie eine Weile fasziniert beobachtete. Sie waren auf dem Weg zu Adnárs Festung, und Fidelma fragte sich, was die frühmorgendlichen Besucher wohl zu solcher Eile veranlaßte.
Sie wendete sich nun der bevorstehenden Aufgabe zu, verließ das Gästehaus so leise wie möglich und überquerte den verharschten weißen Teppich aus Rauhreif, der den Hof wie eine glatte Eisfläche überzog. Das Knirschen unter ihren Füßen erschien ihr ungeheuer laut. Sie erreichte den Turm, doch in seinem Schatten war kein Eadulf zu sehen, und sie blieb stehen.
Fast im selben Augenblick drang das Geräusch von Holz, das auf Wasser schlägt, an ihr Ohr, und gleich darauf kam die hochgewachsene Gestalt Bruder Eadulfs auf sie zugestolpert. Auch er war in einen schweren Umhang gehüllt.
»Ganz schön kalt, Fidelma«, begrüßte er sie.
Fidelma legte einen Finger auf ihre Lippen.
»Folgt mir und seid leise!« zischte sie.
Sie führte ihn am Eingang zum Turm vorbei und betrat geräuschlos das steinerne Lagerhaus, wo sie stehenblieb und im Dunkeln herumhantierte. Eadulf hörte das Anschlagen des Feuersteins, und im nächsten Augenblick hatte Fidelma eine Laterne angezündet, die den Raum erleuchtete.
»Was machen wir jetzt?« fragte der Sachse flüsternd.
»Wir untersuchen eine Höhle«, flüsterte Fidelma zurück.
Sie begann, die Stufen aus roh behauenen Steinen in den unterirdischen Vorratsraum hinunterzusteigen, und Eadulf folgte ihr vorsichtig.
»Hier kann man nicht viel verstecken«, bemerkte er mit einem Blick über ihre Schulter. »Wohin führt die andere Treppe?«
»Die? Hinauf in den Turm. Aber kommt hier herüber. Hier brauche ich Eure Hilfe.«
Sie ging voraus zu den Kisten, die sich am Vortag ihren Bemühungen widersetzt hatten, und stellte umsichtig die Lampe ab.
»So leise wie möglich«, mahnte sie und bedeutete ihm, ihr beim Herunterheben der Kisten behilflich zu sein. Zu ihrer Überraschung waren nur die beiden oberen schwer. Neugierig riß Eadulf eine der verrottenden Holzlatten ab, um ihren Inhalt in Augenschein zu nehmen. Fassungslos starrte er hinein.
»Erde? Nichts als Erde und Geröll. Wer bewahrt schon Erde in einer Kiste auf?«
Fidelma sah sich bestätigt, daß sie der richtigen Fährte folgte, doch sie gab keine weitere Erklärung ab, sondern wies ihn an, ihr beim Wegräumen der anderen Kisten zu helfen. Die waren leer und leicht zu bewegen. Als Eadulf eine der unteren Kisten beiseiteschob, lächelte Fidelma voll finsterer Genugtuung.
In der Höhlenwand hinter der Kiste klaffte ein Loch, eine dunkle Öffnung, gut einen halben Meter breit und einen Meter hoch. Sie bückte sich und untersuchte den schmalen Durchgang zu einem Tunnel, der sich nach wenigen Metern etwas zu vergrößern schien. Die Spuren am Eingang zeigten deutlich, daß hier erst kürzlich gegraben worden war; die dabei anfallende Erde und das Geröll hatte man in die Kisten getan. Es war aber auch unverkennbar, daß nur der Eingang zum Tunnel mit Schutt aufgefüllt worden und der Tunnel selbst schon wesentlich älter war. Irgendwann vor längerer Zeit hatte also jemand den vorderen Teil des Ganges zugeschüttet, und vor kurzem hatte ihn jemand wieder freigelegt.
Fidelma hielt die Laterne so tief wie möglich in den Tunnel hinein, konnte jedoch nicht besonders weit sehen, denn der enge Durchgang machte einen Knick und verlor sich im Dunkeln. Immerhin konnte sie erkennen, daß der Tunnel nach wenigen Schritten etwa einen halben Meter höher wurde, ohne sich allerdings zu verbreitern. Sie überlegte einen Moment. Aus dem Durchgang drang kalte, modrigfeuchte Luft und der Gestank von fauligem Wasser. Aber irgendwohin mußte der Gang schließlich führen, und irgend jemand hatte es eilig gehabt, ihn freizulegen.
»Mir wird nichts anderes übrigbleiben, als mich da durchzuzwängen.«
Eadulf sah sie zweifelnd an.
»Ich weiß nicht, ob Ihr das schafft. Was ist, wenn Ihr steckenbleibt?«
Fidelma blickte ihn spöttisch an.
»Ihr könnt ja hier auf mich warten, wenn Ihr wollt.«
Es war kalt, eisig kalt, als sie sich in den Tunnel zwängte. Die Wände waren feucht und die Steine stellenweise so scharfkantig, daß sie ihr die Kleider zerrissen und die Haut aufschürften. Auch nach den ersten Metern wurde es kaum besser. Plötzlich machte der Gang einen Knick, und dann
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