04 - Die Tote im Klosterbrunnen
meine Tochter verschwunden ist und daß ich den Leichnam sehen will, um festzustellen, ob sie es ist oder nicht.«
»Selbstverständlich. Hat er Euch Geld geboten?«
»Genug, um drei gute Pferde zu kaufen.« Der Mann verzog das Gesicht. »Ich habe mit ihm gehandelt, versteht Ihr. Er war sehr an meinen Diensten interessiert.«
»Und was genau solltet Ihr tun?«
»Ich sollte mir nur die Leiche ansehen, allerdings sehr sorgfältig, und dem jungen Herrn dann eine genaue Beschreibung liefern.«
»Eine Beschreibung?« hakte Fidelma nach. »Und das war alles?«
»Ja. Es war leicht verdientes Geld.«
»Das Ihr bekamt, nachdem Ihr die Äbtissin und ihre Gemeinschaft belogen hattet«, betonte Fidelma. »Hattet Ihr den jungen Mann schon mal gesehen?«
»Nein. Nur einmal, als er über Nacht blieb und auf die Frau wartete.«
»Er blieb eine Nacht? Und wartete auf eine Frau?«
»Sie sollte ihn hier auf meinem Hof treffen, tauchte aber nicht auf. Am nächsten Morgen ritt er davon, kehrte jedoch tags darauf wieder zurück und gab mir diesen Auftrag.«
»Könnt Ihr den Mann beschreiben?«
»Nicht nur das. Er hatte Diener bei sich, und ich hörte, wie einer seiner Männer ihn rief. Es war der werte Torcán.«
Zwei Tage später, als die Schwestern der Abtei Der Lachs aus den Drei Quellen gerade aus dem Refektorium strömten, wo sie ihre Morgenmahlzeit eingenommen hatten, segelte ein zweites Kriegsschiff in die Bucht und bezog zwischen Ross’ barc , dem gallischen Handelsschiff und dem Kriegsschiff der Loígde Position. Auch an seinen Masten wehten die Banner der Loígde und des Königs von Cashel.
Fidelma und Eadulf folgten Äbtissin Draigen, Beccan und Ross hinunter zum Anlegesteg und sahen, wie sich ein Boot von dem gerade eingelaufenen Schiff löste. Ein junger, muskulöser Matrose legte sich in die Riemen, und im Heck saß ein in sein Habit gehüllter Mönch ganz unpassend neben einem hageren Krieger. Als das Boot am Kai festmachte, sprang der behende Krieger als erster an Land, während der Matrose dem Mönch beim Aussteigen behilflich sein mußte.
Der Krieger trat auf Beccan zu, den er ganz offensichtlich kannte, und salutierte vor ihm.
»Das ist Máil vom Stamm der Loígde«, stellte Beccan ihn vor. Dann wartete er, bis sein Begleiter, ein junger Mönch mit unschuldigem, rosigem Gesicht, sich zu ihnen gesellte und sie alle mit einer ausladenden Geste begrüßte. Der Mönch hatte ein angenehmes Äußeres und trotz der geröteten Wangen und der weichen, kindlichen Züge eine gebieterische Ausstrahlung.
»Ich bin Bruder Cillín von Mullach«, verkündete er.
Máil, der Krieger, erachtete eine weitere Vorstellung für notwendig.
»Bruder Cillín war uns unlängst in Ros Ailithir sehr nützlich. Abt Broce und Bran Finn haben ihn hierhergeschickt, als sie von der bedenklichen Lage der Dinge erfuhren.«
Bruder Cillín musterte sie ernst.
»Man hat mir die Aufsicht über alle Nonnen und Mönche auf dieser Halbinsel übertragen.«
Äbtissin Draigen stieß ein hörbares Keuchen hervor, das Cillín keineswegs entging. Lächelnd warf er einen Blick in ihre Richtung.
»Abt Broce hat mich außerdem beauftragt, die Gemeinschaft neu zu organisieren und sie wieder auf den Weg des Glaubens und des Gehorsams gegenüber ihren rechtmäßigen Führern zu bringen. Ich werde allerdings nur ein, zwei Tage hierbleiben und mich dann nach Norden aufmachen, in Gulbans Hauptstadt.«
Fidelma entnahm Äbtissin Draigens Gesichtsausdruck, daß Cillín ihr alles andere als willkommen war.
»Bruder Cillín«, begrüßte Fidelma den Mönch, trat auf ihn zu und machte ihn mit den Anwesenden bekannt. »Bringt Ihr Neuigkeiten aus Ros Ailithir?«
»O ja, Schwester. Die bringe ich wahrhaftig. Eoganán und seine Aufständischen haben ihren Plan in die Tat umgesetzt. Habt Ihr etwa noch nichts davon gehört?«
Angst schnürte Fidelma die Kehle zu.
»Hat sich Eoganán tatsächlich gegen Cashel erhoben? Was gibts es Neues von meinem Bruder Colgú?« Sie versuchte, sich ihre Angst beim Sprechen nicht anmerken zu lassen.
»Macht Euch keine Sorgen«, erwiderte Máil, der Krieger, sofort. »Colgú ist in Sicherheit. Der Aufstand ist vorüber. Eigentlich war er vorbei, noch bevor er begonnen hatte.«
»Wißt Ihr nähere Einzelheiten?« fragte Beccan. Fidelma brachte vor Erleichterung kein Wort heraus.
»Allem Anschein nach hat Colgú seine Krieger ausgeschickt, um gegen Eoganán und die Uí Fidgenti vorzugehen, bevor diese ihre Vorbereitungen
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