04 - Die Tote im Klosterbrunnen
Miene.
»Aber«, fuhr Fidelma nach kurzer Pause fort, »gibt es denn einen heimtückischeren Plan als den von Bruder Febal?«
Beccan räusperte sich.
»Seid Ihr zu irgendeinem Schluß gekommen?«
Fidelma hob den Kopf und antwortete: »Ja. Ich vertraue darauf, daß Ihr mich gewähren laßt und Euch geduldig die ganze Geschichte anhört, denn um zur Wahrheit über diese Morde vorzudringen, muß man unbedingt die Zusammenhänge kennen. Alles, was ich behaupte, kann ich inzwischen auch beweisen.«
»Dann fahrt fort, Schwester.«
»In den Chroniken wird berichtet, daß vor vierhundert Jahren in dieser Gegend ein sagenhaftes goldenes Kalb aufgestellt und angebetet wurde. Cormac Mac Art, der damalige Oberkönig, weigerte sich jedoch, sich an dessen Anbetung zu beteiligen. In der Geschichte heißt es weiter, der Priester des goldenen Kalbes sei darüber so erbost gewesen, daß er ihn ermordete: er sorgte dafür, daß drei Gräten eines Lachses in Cormacs Hals steckenblieben und er daran erstickte. Hier begegnen wir wieder der Symbolik. Drei Lachsgräten. Sie waren lediglich ein Erkennungszeichen.
Kurz bevor Schwester Comnat und Schwester Almu nach Ard Fhearta aufbrachen, erschien hier in der Abtei ein Mann mit einem Buch, einer Abschrift von Cormacs Teagasg Rí , dem Handbuch des Königs. Der Mann war in Not geraten und wollte das Buch gegen Lebensmittel eintauschen. Wahrscheinlich kannte er nicht einmal seinen Inhalt. Er brachte es zur Äbtissin, die wiederum Schwester Comnat, die Bibliothekarin, zu Rate zog. Schwester Comnat hielt das Tauschgeschäft für lohnend, vor allem, da ihr aufgefallen war, daß das Buch am Ende noch eine Kurzbiographie von Cormac enthielt. Dann bat sie Schwester Almu, ihre Gehilfin, die Neuerwerbung durchzusehen und in den Bestand einzuordnen.
Das tat Schwester Almu auch. Stellt Euch ihre Aufregung vor, als sie unverhofft eine Fortsetzung der Geschichte vom goldenen Kalb in Händen hielt. Glaubte man diesem Text, dann hatte das sagenhafte Wesen aus massivem Gold tatsächlich existiert. Und was noch weitaus spannender war: der Priester, der dem Kult des goldenen Kalbes gehuldigt hatte, stammte genau aus dieser Gegend. Wahrhaftig, ist nicht das Symbol der Göttin, die man die Alte von Beara nennt, eine Kuh? Heißt nicht Adnárs Festung Dún Boí, die Festung der Kuhgöttin? Und das Junge der Kuh ist das Kalb.«
»Wir haben diese alte Volkssage schon oft genug gehört!« unterbrach Äbtissin Draigen voller Ungeduld. »Wann kommen wir endlich zum Kern der Geschichte?«
Beccan ärgerte sich über ihre ständigen Einwürfe.
»Ich habe Euch gewarnt, Mutter Oberin. Ich dulde keine Zwischenrufe. Eine Geldstrafe von einem sét wegen Unterbrechung des Gerichts. Auch ich finde jedoch, Schwester Fidelma, daß Eure Erzählweise immer weitschweifiger wird. Was hat das alles mit den beiden Morden zu tun?«
»Die Symbolik der drei Lachsgräten!« erwiderte Fidelma. »Wir wissen, daß die Stelle, an der heute die Abtei steht, früher eine heidnische Kultstätte war. Wir wissen auch, daß man die Abtei heute Der Lachs aus den Drei Quellen nennt. Das ist nicht nur eine Umschreibung für Christus, sondern auch ein Hinweis auf die heidnische Vergangenheit. Das sagenhafte goldene Kalb war genau hier versteckt, in den Höhlen unterhalb des Klosters. Die meisten kennen sicher das primitive Bildnis eines Kalbes, das in die Wand des unterirdischen Vorratsraumes eingemeißelt ist. Eine ähnliche Abbildung befindet sich in der Nachbarhöhle.«
Unter den Schwestern erhob sich aufgeregtes Murmeln.
»Schwester Almu las den Text – und verstand sofort. In der Geschichte wird überliefert, daß die Priester des goldenen Kalbes den Namen Dedelchú trugen – Wachhund des Kalbes -und hier völlig abgeschieden lebten. Dann kam Necht, die Reine, um das Land zum Christentum zu bekehren. Es gelang ihr, die heidnischen Priester zu vertreiben. Dem Text zufolge war das goldene Kalb seit damals, seit über hundert Jahren, seit Necht, die Reine, die Heiden verjagte und diese Gemeinschaft gründete, unter der Abtei versteckt und wahrscheinlich längst vergessen – abgesehen von dieser einen Erwähnung in einem Buch über die Gegend. Stellt Euch vor, wie aufgeregt Almu reagiert haben muß, ganz besonders, wenn man an das Vermögen denkt, das eine so sagenhafte Statue einbringen würde. Im wahrsten Sinne des Wortes, sie war ihr Gewicht in Gold wert, denn der Überlieferung zufolge bestand sie ja aus reinem Gold.«
»Könnt Ihr
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