04 - Die Tote im Klosterbrunnen
sicherlich nicht zu hören? Die Höhle erstreckt sich doch nicht bis unterhalb der duirtbech. «
»Das stimmt. Es soll jedoch, wie ich Euch erzählt habe, unter der Abtei noch weitere Höhlen geben. Abgesehen von unserer Vorratshöhle haben wir ihre Eingänge bis heute nicht gefunden. Zweifellos liegt unter der Kapelle ein Hohlraum, der wahrscheinlich von Zeit zu Zeit überflutet wird. Dabei entsteht das Geräusch, das wir gehört haben.«
Fidelma gab zu, daß das durchaus möglich war.
»Ihr habt es also schon früher gehört?«
Äbtissin Draigen wirkte plötzlich ungeduldig.
»Mehrere Male während der Wintermonate. Aber das ist doch ganz unwichtig.« Es lag auf der Hand, daß sie von dem Thema genug hatte. Sie wandte sich zu ihrer Begleiterin um. »Das ist Schwester Síomha, meine Verwalterin, die zusammen mit Schwester Brónach den Leichnam entdeckt hat.«
Fidelma betrachtete die ebenmäßigen Gesichtszüge Schwester Síomhas mit einiger Überraschung. Sie hatte das Antlitz eines jungen, engelhaften Mädchens und konnte sicher nicht über die Erfahrung verfügen, die Fidelma bei einer rechtaire , der Verwalterin einer Gemeinschaft, voraussetzte. Mit einem verspäteten Lächeln versuchte Fidelma, ihre Überraschung zu überspielen, spürte jedoch im Gegenzug keinerlei Wärme, als die junge Verwalterin das Wort an sie richtete: »Ich habe meine Pflichten zu erledigen, Schwester. Womöglich könntet Ihr mir Eure Fragen deshalb gleich hier stellen.« Das klang beinahe unwirsch und wurde in einem Tonfall gesagt, den Fidelma von dem liebreizend aussehenden Mädchen nicht erwartet hatte, so daß sie zusammenzuckte und im ersten Moment sprachlos war.
»Das wird leider nicht gehen«, erwiderte sie schließlich mit ausdrucksloser Stimme.
Zu ihrer klammheimlichen Freude sah sie so etwas wie Fassungslosigkeit über Schwester Síomhas Antlitz huschen.
Fidelma wandte sich um und schloß sich den anderen Nonnen an.
»Wie bitte, Schwester?« Síomhas Stimme war eine Spur lauter geworden und klang verdrossen, während sie Fidelma zögernd einen Schritt folgte.
Fidelma blickte über die Schulter.
»Ich kann Euch heute mittag empfangen. Ihr findet mich im Gästehaus.« Fidelma setzte ihren Weg fort, bevor Schwester Síomha antworten konnte.
Die Äbtissin eilte ihr gleich darauf hinterher und schloß sich ihr an. Sie war etwas außer Atem geraten.
»Ich verstehe nicht, Schwester«, sagte sie mit zusammengezogenen Augenbrauen. »Ich dachte, Ihr hättet gestern abend den Wunsch geäußert, mit meiner Verwalterin zu sprechen.«
»Das möchte ich auch, Mutter Oberin«, erwiderte Fidelma. »Doch habe ich, wie Ihr Euch sicher erinnern werdet, Adnár versprochen, heute früh mit ihm die Morgenmahlzeit einzunehmen. Die Sonne ist bereits aufgegangen, und ich muß sehen, wie ich zu seiner Festung übersetzen kann.«
Draigen blickte mißbilligend drein.
»Ich glaube nicht, daß Euer Besuch bei Adnár notwendig ist. Diese Angelegenheit fällt nicht in seine Zuständigkeit, und dafür danke ich Gott.«
»Warum das, Mutter Oberin?« erkundigte sich Fidelma.
»Weil er ein boshafter, gehässiger Mann ist und zu jeder Verleumdung fähig.«
»Meint Ihr Verleumdungen Eurer Person?«
Äbtissin Draigen zuckte die Achseln.
»Ich weiß es nicht, und ich mache mir auch nichts daraus. Adnárs Geschwätz interessiert mich wenig. Aber ich glaube, er kann es kaum erwarten, Euch seinen Klatsch und Tratsch mitzuteilen.«
»Ist er deshalb bei der Ankunft von Ross’ Schiff mit Euerm Boot um die Wette gefahren?«
»Warum denn sonst? Er ist bestimmt gekränkt darüber, daß er als bó-aire , als Friedensrichter in dieser Angelegenheit nichts zu sagen hat. Er hätte gern Macht über unsere Gemeinschaft.«
»Warum das?«
Äbtissin Draigen schürzte zornig die Lippen.
»Weil er eitel ist, darum. Er liebt sein kleines bißchen Autorität.«
Fidelma blieb plötzlich stehen und musterte eingehend das Gesicht der Äbtissin.
»Adnár ist Häuptling in diesem Gebiet. Seine Festung liegt genau am anderen Ufer der Meerenge, und deshalb muß die Gemeinschaft Abgaben an ihn entrichten. Dennoch spüre ich eine große Feindseligkeit zwischen der Abtei und Adnár.«
Fidelma war bemüht, das Problem nicht mit der Person der Äbtissin gleichzusetzen.
Äbtissin Draigen errötete.
»Ich habe keinen Einfluß auf Eure Gedanken, Schwester, oder auf Eure Deutung der Dinge, die Ihr hier seht.« Sie wollte sich gerade abwenden, hielt jedoch inne. »Wenn Ihr
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