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04 - Die Tote im Klosterbrunnen

04 - Die Tote im Klosterbrunnen

Titel: 04 - Die Tote im Klosterbrunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Tremayne
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plötzlich unter Wasser, und Schwester Brónach trat unverzüglich zu dem großen Gong am offenen Fenster, ergriff den Stock und schlug den Gong so kräftig, daß es auf dem ganzen Abteigelände zu hören war. Dann beeilte sie sich, die Schale aus dem Wasser zu nehmen und auszuleeren, so daß sie wieder auf der Wasseroberfläche schwamm. Sie hantierte dabei geschickt mit einer etwa einen halben Meter langen hölzernen Zange, damit sie nicht mit dem heißen Wasser in Berührung kam.
    Fidelma war von dem Vorgang fasziniert und vergaß darüber zeitweilig sogar Schwester Síomha. Sie hatte bisher erst ein- oder zweimal gesehen, wie eine Wasseruhr funktionierte.
    »Erzählt mir etwas über die Wasseruhr«, forderte sie Brónach mit ehrlichem Interesse auf.
    Schwester Brónach warf Fidelma einen unsicheren Blick zu, als überlege sie, ob hinter ihrer Frage eine verborgene Absicht steckte. Offenbar kam sie zu dem Schluß, daß dem entweder nicht so war oder daß sie es andernfalls doch nicht feststellen konnte, und deutete auf die Vorrichtung.
    »Man muß die Wasseruhr oder die Klepsydra, wie wir sie nennen, ununterbrochen überwachen.«
    »Das kann ich mir vorstellen. Erklärt mir den Mechanismus.«
    »Dieses Becken«, Schwester Brónach deutete auf die große bronzene Schüssel, die auf dem Feuer stand, »ist mit Wasser gefüllt. Das Wasser wird ständig erhitzt, und obenauf schwimmt eine kleine, leere Kupferschale, die im Boden ein winziges Loch hat.«
    »Ich sehe es.«
    »Das heiße Wasser dringt durch das Loch im Boden der Schale und füllt sie allmählich, bis sie schließlich auf den Grund sinkt. Wenn das passiert, ist eine Zeitspanne von fünfzehn Minuten verstrichen. Wir nennen das eine pongc . Sobald die Schale auf den Grund des Beckens sinkt, muß die Aufseherin den Gong schlagen. Es gibt vier pongc pro uair , und sechs uair sind ein cadar . Nach jeder vierten pongc machen wir nach dem Gongschlag eine Pause und schlagen dann die Zahl der uair ; nach jeder sechsten uair machen wir wiederum eine Pause und schlagen dann die Zahl der cadar , der Tagesviertel, an. Eigentlich eine sehr einfache Methode.«
    Schwester Brónachs Erklärung wurde immer lebhafter, und zum ersten Mal in Fidelmas kurzen Begegnungen mit ihr wirkte sie richtig lebendig.
    Fidelma schwieg einen Augenblick, in Gedanken versunken, und hatte plötzlich eine Idee, wie sie noch mehr in Erfahrung bringen könnte.
    »Und die Wasseruhr ermöglichte Euch, den genauen Zeitpunkt anzugeben, zu dem Ihr den Leichnam gefunden habt?«
    Schwester Brónach nickte abwesend, während sie die Wassertemperatur kontrollierte und das Feuer unter dem großen Becken schürte.
    »Es ist also ein recht umständliches Geschäft, die Wasseruhr zu beaufsichtigen?«
    »Ziemlich umständlich«, stimmte die Schwester zu.
    »Um so mehr hat es mich verwundert, die rechtaire bei der Verrichtung dieser Aufgabe anzutreffen«, bemerkte Fidelma spitzfindig.
    Brónach antwortete mit einem Kopfschütteln.
    »Ganz und gar nicht. Wir sind sehr stolz auf die Genauigkeit unserer Klepsydra. Jedes Mitglied der Gemeinschaft erklärt sich beim Eintritt in die Abtei damit einverstanden, sich an der Beaufsichtigung der Uhr zu beteiligen. So steht es in unseren Regeln. Schwester Síomha ist immer sehr darauf bedacht, daß diese Regeln eingehalten werden. In den letzten Wochen hat sie sogar darauf bestanden, die meisten Nachtwachen selbst zu übernehmen – das heißt von Mitternacht bis zum morgendlichen Ángelus. Sogar unsere Mutter Oberin übernimmt manchmal die Aufsicht, wie alle anderen auch. Niemand darf die Uhr länger als ein cadar , also länger als sechs Stunden, beaufsichtigen.«
    Fidelma runzelte plötzlich die Stirn.
    »Wenn Schwester Síomha heute Nacht Dienst tut, was hatte sie dann jetzt, kurz nach der Mittagszeit, hier zu suchen?«
    »Ich habe nicht gesagt, daß sie alle Nachtwachen übernimmt. Das wäre auch nicht erlaubt, schließlich muß jede Schwester mal die Uhr beaufsichtigen. Sie übernimmt allerdings die meisten Nachtdienste, und sie ist eine äußerst penible Person.«
    »Und hatte Síomha auch Dienst in der Nacht, bevor der Leichnam entdeckt wurde?«
    »Ja, ich glaube schon.«
    »Ein ziemlich langweiliger Dienst: immer nur darauf warten, daß die Schale sinkt, und sich dann erinnern, wie oft der Gong geschlagen werden muß«, bemerkte Fidelma.
    »Nicht, wenn man ein kontemplativer Mensch ist«, erwiderte Schwester Brónach. »Es gibt nichts Entspannenderes, als das erste

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