04 - Die Tote im Klosterbrunnen
Tür.
Schwester Lerben stand am anderen Ende des Korridors, und einige ihrer Mitnovizinnen drängten sich hinter ihr zusammen, Laternen in den Händen.
»Seid Ihr dort sicher, Schwester?« wollte die Novizin von Fidelma wissen. »Wir haben uns Sorgen gemacht, als wir nichts mehr von Euch hörten.«
»Was hat dieses aufrührerische Geschrei zu bedeuten? Die Schwestern sollen sich zerstreuen und in ihre Zellen zurückkehren.«
»Wir, die Mitglieder dieser Gemeinschaft, sind gekommen, um die Mörderin zu holen. Die Ermordung Schwester Síomhas darf nicht ungestraft bleiben. Bringt Berrach heraus. Ihre Schwestern haben beschlossen, daß der Tod die einzig angemessene Strafe für sie ist.«
K APITEL 10
Die jungen Nonnen, die sich dort am Ende des Korridors zusammendrängten und Berrachs Namen riefen, wirkten wie Besessene. Ihre Hysterie war kaum noch unter Kontrolle zu halten, und Fidelma wurde wütend, als sie erkannte, daß Draigen rein gar nichts unternommen hatte, um die verängstigten Gemüter zu beruhigen. Lerben schien die Raserei, die jeglicher Logik widersprach, noch geschürt zu haben und gebärdete sich als Anführerin der Gruppe, die sich von einer Zusammenrottung des Pöbels kaum noch unterschied. Von der Äbtissin war keine Spur zu sehen.
»Die Schwestern haben beschlossen ?« fragte Fidelma in gefährlich drohendem Tonfall.
Schwester Lerben sprach sehr eindringlich. »Die Sache ist ganz einfach. All die Jahre hat die Abtei einer Zauberin Zuflucht gewährt, und sie hat es mit Mord und heidnischem Götzendienst vergolten. Sie wird ihre gerechte Strafe erhalten. Eure Aufgabe ist hiermit erfüllt.«
Die Nonnen, die sich hinter Lerben drängten, murmelten zustimmend. Fidelma erkannte, daß die meisten von ihnen sich einfach nur fürchteten und daß ihre Hysterie ganz einfach auf Angst beruhte. Lerben hatte dafür gesorgt, daß ihre entfesselten Gefühle sich gegen Berrach wendeten. Die Schwestern waren kaum noch im Zaum zu halten. Es sah aus, als würden sie jeden Augenblick losstürmen. Fidelma postierte sich entschlossen im Korridor und hob ihre Hand.
»Im Namen Gottes, merkt Ihr denn nicht, was Ihr da tut?« überschrie sie ihre Rufe. »Ich bin eine Advokatin der Gerichtsbarkeit, von Euerm König und vom Bischof damit beauftragt, diesen Fall zu untersuchen. Wollt Ihr Euch eines schrecklichen Verbrechens schuldig machen, indem Ihr die Gerechtigkeit in die eigenen Hände nehmt?«
»Das ist unser Recht«, widersprach Schwester Lerben.
»Und wieso?« verlangte Fidelma zu wissen. Sie war zu dem Schluß gekommen, daß jedes Gespräch besser war als blinde Gewalt. »Was habt Ihr denn für Rechte? Ihr seid lediglich eine Novizin in dieser Abtei, ohne höhere Position. Wo ist Eure Äbtissin? Vielleicht kann sie Euch über Eure Rechte aufklären?«
Schwester Lerbens Augen funkelten vor Zorn.
»Äbtissin Draigen hat sich zum Gebet in ihre Gemächer zurückgezogen. Sie muß sich erst von diesem entsetzlichen Schock erholen und hat mich mit den Aufgaben einer rechtaire betraut. Jetzt trage ich hier die Verantwortung. Übergebt uns endlich die Mörderin.«
Fidelma erschrak über die Arroganz des jungen Mädchens.
»Ihr seid jung, Lerben. Viel zu jung, um die Verantwortung für dieses Amt zu übernehmen. Was Ihr verlangt, widerspricht dem irischen Gesetz. Beruhigt Euch also und gebt Anweisung, daß die Schwestern sich zerstreuen.«
Zu ihrer Überraschung gab Lerben sich noch nicht geschlagen.
»Hat nicht Ultan, Erzbischof von Armagh und Oberster Apostel der Christenheit in den fünf Königreichen, verfügt, daß unsere Kirche die Gesetze der Peterskirche in Rom befolgen soll? Nun, wir haben über unsere sündige Schwester zu Gericht gesessen und sie für schuldig befunden – nach römischem Kirchenrecht.«
»Nach welchem Recht?« Fidelma traute ihren Ohren kaum. Sicher hatte jemand die Novizin, die jetzt behauptete, als Verwalterin der Abtei zu handeln, aufgewiegelt, sämtlichen irischen Gesetzen zuwiderzuhandeln. Sie fühlte sich wie in einem Streit mit jemandem, der die Meinung vertrat, tags sei es dunkel und nachts sei es hell: wo fand man denn da noch einen logischen Anknüpfungspunkt?
»Nach dem Recht der Heiligen Schrift!« antwortete Lerben völlig unbeeindruckt von Fidelmas Autorität. »Heißt es nicht im Zweiten Buch Mose: ›Die Zauberinnen sollst du nicht am Leben lassen‹?«
»Hat Euch die Äbtissin das beigebracht, Lerben?« forderte Fidelma sie heraus.
»Wollt Ihr etwa mit der Heiligen
Weitere Kostenlose Bücher