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04 - Die Tote im Klosterbrunnen

04 - Die Tote im Klosterbrunnen

Titel: 04 - Die Tote im Klosterbrunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Tremayne
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würde jemand Steine behauen oder ein Loch ausheben. Doch was immer es auch sein mag, das Geräusch ist irdischen Ursprungs – wovor sollte ich mich also fürchten?«
    »Recht so. Und heute morgen gingt Ihr wie gewöhnlich in die Bibliothek?«
    »Ja, in den Stunden vor Tagesanbruch. Ich verhielt mich so leise wie möglich, denn ich wollte die Aufseherin der Wasseruhr nicht auf mich aufmerksam machen. Schon gar nicht Schwester Síomha, die mich stärker ablehnt als die meisten anderen.«
    »Wann habt Ihr die Bibliothek heute morgen betreten? Könnt Ihr die Zeit möglichst genau angeben?«
    »Soweit ich mich erinnere, hörte ich den Gong zur zweiten Stunde schlagen, und vielleicht noch zur ersten Viertelstunde danach, ich bin mir nicht ganz sicher. Die dritte Stunde war noch nicht vorbei, das weiß ich ganz genau, denn ich erinnere mich nicht, daß sie geschlagen wurde.«
    »Erzählt weiter.«
    »Ich betrat die Bibliothek und fand das Buch, das ich suchte …«
    »Welches?«
    »Wollt Ihr den Titel des Buches wissen?« fragte Schwester Berrach stirnrunzelnd.
    »Ja.«
    »Der Reisebericht des Aethicus von Istrien. Ich trug das Buch zu einem kleinen Tisch in einer Ecke. Ich setze mich meistens dorthin: falls jemand unerwartet eintritt, bleibt mir noch Zeit, mich zu verstecken. Ich las gerade die Passage über Aethicus’ Aufenthalt in Irland, wo er sich eingehend mit unseren Bibliotheken beschäftigte, als mir auffiel, daß die Zeit verging, ohne daß der Gong ertönte, den die Aufseherin der Klepsydra schon längst hätte schlagen müssen. Ich trat zum Fuß der Treppe und horchte. Alles war ruhig. Zu ruhig.«
    Berrach hielt inne und rieb sich einen Augenblick abwesend die Wange.
    »Ich spürte, daß etwas nicht stimmte. Kennt Ihr das, wenn man plötzlich so ein Gefühl bekommt? Ich beschloß, hinaufzugehen, um nachzusehen …«
    »Obwohl Ihr nicht wolltet, daß jemand von Eurer Anwesenheit erfuhr, am allerwenigsten Schwester Síomha?«
    »Falls etwas nicht stimmte, hielt ich es für besser, nicht darüber hinwegzusehen.«
    »Und was habt Ihr mit dem Buch gemacht?«
    »Ich ließ es auf dem Tisch zurück, wo ich es gelesen hatte.«
    »Also muß es noch dort liegen? Sehr gut. Erzählt weiter.«
    »Ich stieg so vorsichtig wie möglich die Treppe hinauf in den Raum, in dem sich die Klepsydra befindet. Ich dachte, ich sähe Schwester Síomha auf dem Boden liegen.«
    »Ihr dachtet ?« betonte Fidelma.
    »Die Tote hatte keinen Kopf. Aber das erkannte ich nicht sofort. Ich sah nur eine Gestalt im klösterlichen Habit und kniete daneben nieder, um ihr den Puls zu fühlen. Ich nahm an, sie sei bewußtlos vielleicht ohnmächtig geworden, weil sie zuwenig gegessen hatte oder aus einem anderen Grund. Meine Hände berührten ihren Hals, kalt, nicht richtig eiskalt, aber feucht und klamm. Dann spürte ich etwas Klebriges. Ich tastete nach ihrem Kopf …«
    Schwester Berrachs Stimme stockte, und sie schauderte bei der Erinnerung.
    »Heilige Mutter Gottes, schütze mich! In diesem Augenblick wurde mir klar, daß Schwester Síomha auf die gleiche Weise getötet worden war wie der Leichnam im Brunnen. Ich glaube, ich habe vor Entsetzen laut aufgeschrien.«
    »Und dann seid Ihr die Treppe hinuntergerannt?« half Fidelma etwas nach.
    »Nicht sofort. Als ich aufschrie, hörte ich hinter mir ein Geräusch. Ich drehte mich um, mein Herz raste. Ich sah einen Schatten, Kopf und Schultern vermummt, der schnell durch die Klapptür im Boden und die Treppe hinunter verschwand.«
    Fidelma beugte sich rasch vor.
    »Waren Kopf und Schultern die eines Mannes oder einer Frau?«
    Berrach schüttelte den Kopf.
    »Es tut mir leid, das weiß ich nicht. Es war so finster, und alles ging so schnell. Ich war vor Angst wie gelähmt und nicht in der Verfassung, weitere Nachzuforschungen anzustellen. Daß ich mit dem Ungeheuer, das die Tat begangen hatte, allein gewesen war, weckte in mir die Furcht vor der ewigen Verdammnis. Ich weiß nicht, wie lange ich dort in dem dunklen Raum neben der Toten kniete. Zweifellos eine ganze Weile.«
    »Ihr habt einfach dort im Dunkeln gekniet? Ihr habt Euch nicht bewegt oder geschrien?«
    »Angst übt eine seltsame Gewalt über den Körper aus, Schwester. Angst bringt den Lahmen zum Laufen, der Gesunde dagegen wird lahm wie ein Krüppel.«
    Fidelma nahm das mit einer ungeduldigen Geste zur Kenntnis.
    »Was dann, Berrach?«
    »Schließlich erhob ich mich und spürte, wie mir das Blut eiskalt durch die Adern schoß. Wie gesagt, ich

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