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04_Es ist was Faul

04_Es ist was Faul

Titel: 04_Es ist was Faul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Fforde
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ein, als er
    an einem Fenster stehen blieb, das einen großen Sportplatz
    überblickte. In der Mitte lagen zwei hohe, grasbewachsene
    Hügel, und es war nicht schwer, sich vorzustellen, was darunter
    lag.
    »O Herz, mein schweres Herz, was seufzest du und brichst
    nicht?«, murmelte Shgakespeafe melancholisch. »Nachdem so
    mancher Freund erschlagen wurde, durch Ränke, Falschheit
    und Verrat, wann werden unsere großen Erzeuger besiegt?«
    »Ich wünsche mir von Herzen, dass Ihre Brüder gerächt werden«, sagte ich traurig zu ihm. »Aber ich versichere Ihnen, dass
    diejenigen, die das getan haben, inzwischen selbst tot sind.
    Ihnen und allen anderen Überlebenden biete ich meinen Schutz
    an.«
    Er hörte mir sorgfältig zu und schien beeindruckt von meiner Offenheit. Ich schaute auf das Massengrab der Shakespeares
    hinunter und auf die vielen weiteren Grabhügel. Ich hatte
    gedacht, sie hätten vielleicht zwei Dutzend geklont, aber das
    mussten Hunderte sein.
    »Gibt es noch andere Shakespeares hier?«, fragte Bowden.
    »Nur mich – und doch: Die Nacht hallt wieder von den
    Schreien meiner Vettern«, erwiderte Shgakespeafe. »Ihr werdet
    sie gleich hören.«
    Wie auf Bestellung ertönte ein schriller Schrei aus den Hügeln. Wir hatten einen ähnlichen Schrei gehört, als Stiggins in

Swindon die Schimäre getötet hatte.
    »Wir sind nicht sicher, Clarence, nicht sicher«, sagte der Alte
    und sah sich vorsichtig um. »Folgt mir und hört mir zu.«
    Er führte uns den Korridor hinunter zu einem Raum, der
    voller ordentlich aufgereihter Schreibpulte war. Auf jedem
    davon stand eine verrostete Schreibmaschine.
    Lediglich eins der Schreibgeräte schien noch brauchbar, und
    daneben lagen hohe Papierstapel: das Gesamtwerk von William
    Shgakespeafe. Er griff ein paar Blätter heraus, drückte sie uns in
    die Hände und drängte uns, sie zu lesen.
    Ängstlich hingen seine Blicke an unseren Gesichtern, während wir die Texte studierten. Etwas Besonderes waren sie
    allerdings nicht – lediglich Schnipsel und Fetzen bereits bekannter Stücke, die neu zusammengestellt waren und auf diese
    Weise neue Zusammenhänge erhielten. Ich versuchte mir den
    Raum bei Hochbetrieb vorzustellen, als er von ShakespeareKlonen mit klappernden Schreibmaschinen erfüllt war, Hunderten von Männern in elisabethanischer Kleidung, in deren
    Köpfen die Werke des Barden herumspukten, und einigen
    Dutzend Goliath-Wissenschaftlern, die in der Hoffnung zwischen ihnen herumgingen, einen, nur einen, zu finden, der auch
    nur halb so viel Talent wie das Original hatte.
    Shgakespeafe winkte uns in das Büro neben dem Schreibsaal,
    und dort fanden wir riesige Stapel von Manuskripten, die in
    braunes Papier verpackt und mit dem Namen des jeweiligen
    Shakespeare-Klons etikettiert waren. Da die Produktion offenbar sehr viel größer gewesen war als die Kapazität der Angestellten, sie zu bewerten, hatten die Wissenschaftler sie lediglich
    archivieren können. Irgendwann hatte man wohl Lektoren
    damit beschäftigen wollen, das Material auszuwerten. Ich warf
    einen weiteren Blick auf den gewaltigen Manuskriptberg. Hier
    mussten mindestens zwanzig Tonnen Papier lagern. Das Dach
    des Raumes hatte ein Loch, und es war Regen eingedrungen.
    Der größte Teil der Papierstapel war daher angeschimmelt und
    drohte umzustürzen.
    »Da würde man ewig brauchen, um etwas Geniales zu finden«, grübelte Bowden. Vielleicht war das Experiment ja ge-glückt? Vielleicht lag ja irgendwo in den Massengräbern da
    draußen tatsächlich ein zweiter Shakespeare, vielleicht war in
    diesem Berg von Manuskripten ein Werk von genialer Schönheit verborgen. Aber es erschien unwahrscheinlich, dass wir es
    je finden würden. Und wenn wir es doch fanden, würde es uns
    nicht viel Neues sagen – außer dass es zu schaffen war und
    andere es auch versuchen würden. Ich hoffte, der Berg der
    Manuskripte würde friedlich verrotten. Bei der Jagd nach
    großer Kunst hatte Goliath ein Verbrechen begangen, das
    schlimmer war als alles, was ich bisher gesehen hatte.
    Millon machte verschiedene Fotos. Blendend hell zuckte sein
    Blitzlichtgerät durch das Dämmerlicht des Skriptoriums. Ein
    Schauder lief mir über den Rücken, und ich musste dringend
    ins Freie. Ich setzte mich mit Bowden auf die große Treppe vor
    dem Haupteingang des Gebäudes. Neben uns lag eine Büste von
    Sokrates unter den Trümmern. Eine Tafel aus falschem Marmor besagte, das Streben nach Wissen sei nützlich und

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