04_Es ist was Faul
– wie weit würde sie gehen,
um mich zu töten? Würde sie es im hellen Tageslicht mitten auf
der Commercial Road tun? Mit ihrem Gatten als Zeugen? Ich
stand verklemmt auf dem Bürgersteig, mit der Hand an meiner
Pistole. Ich musste mich wohl auf meinen Vater verlassen. Ich
zog meine Waffe und zielte auf Cindy. Mehrere Passanten
erschraken und sprangen hastig beiseite.
»Thursday? Steck die Waffe weg! Bist du verrückt?«, brüllte
Spike.
»Nein«, sagte ich. »Deine Frau ist der Windowmaker. Sie ist
keine Bibliothekarin.«
Spike sah erst mich und dann seine zierliche Frau an. Er
lachte. »Cindy soll ein Berufskiller sein? Du machst ja wohl
Witze!«
»Sie ist verrückt!«, sagte Cindy mit ihrer Kleinmädchenstimme. »Ich habe Angst, Spikey. Ich weiß nicht, wovon sie
redet. Ich hab in meinem ganzen Leben noch keine Pistole
gesehen.«
»Cindy, nimm ganz langsam deine Hand aus der Tasche!«,
sagte ich.
Aber es war Spike, der jetzt handelte. Er zog seine Waffe und
zielte – auf mich. »Steck die Waffe ein, Thursday. Ich habe dich
immer gemocht, aber wenn du mich vor die Wahl stellst …«
Ich biss mir auf die Lippe und ließ Cindy nicht aus den Augen. »Hast du dich eigentlich je gefragt, warum sie immer mit
Bargeld bezahlt worden ist, Spike? Warum ihr Bruder bei der
CIA ist und ihre Eltern von Scharfschützen der Polizei erschossen worden sind, Spike ? Hast du je gehört, dass normale Bibliothekare von der Polizei abgeknallt werden?«
»Das lässt sich alles erklären«, wimmerte Cindy. »Töte sie,
Spikey! Sie ist verrückt.«
Jetzt begriff ich, was sie für ein Spiel spielte. Sie würde den
Auftrag gar nicht selbst ausführen. Das würde ihr Mann für sie
tun. Am hellen Tage knallt er mich ab, und noch dazu ganz
legal: Ein tapferer Mann, der seine kleine Frau schützt. Sie war
wirklich Spitze. Erste Sahne. Der Windowmaker. Wenn sie
einen Kontrakt auf dich hatte, dann warst du töter als Cordsamt.
»Sie hat den Auftrag, mich umzulegen, Spike. Sie hat schon
zweimal versucht, mich zu töten!«
»Waffe runter, Thursday!«
»Spikey, ich habe Angst!«
»Cindy, ich will deine Hände sehen! Beide!«
»Lass die Waffe fallen, Thursday!«
Wir steckten in einer Sackgasse. Spike hatte die Waffe an
meinem Kopf, ich zielte auf Cindy. Wenn ich die Waffe senkte,
würde Cindy mich abknallen. Wenn ich die Waffe nicht senkte,
würde Spike mich erschießen. Es gab keine Lösung, bei der ich
nicht am Ende tot war. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Und
genau das war der Augenblick, als ihr das Klavier auf den Kopf
fiel.
Ich hatte noch nie zuvor ein Klavier aus dem dritten Stock
fallen hören, aber es war genau so, wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Eine Art musikalischer Gehirnerschütterung, die auf
der Straße widerhallte. Wie es der Zufall wollte, verfehlte der
Steinway uns alle, nur der Hocker traf Cindy, aber das war
schlimm genug. Sie fiel um wie ein Sack Zement. Ein Blick
genügte, und wir wussten beide, dass es ihr schlecht ging. Eine
böse Kopfwunde und ein ernsthaft gebrochener Hals.
Für Spike war es ein Augenblick sehr gemischter Gefühle.
Trauer und Schock, aber auf der anderen Seite auch die Erkenntnis, dass ich recht gehabt hatte: Ihre Hand umklammerte
immer noch eine .38er mit Schalldämpfer.
»Nein, nicht schon wieder!«, rief Spike und legte ihr die
Rechte zart auf die bleiche Wange.
Cindy stöhnte schwach, als der Polizist und die beiden Sanitäter herbeieilten, die eben noch mit St Zvlkx beschäftigt gewesen waren.
»Du hättest mir doch was sagen können«, murmelte Spike,
ohne mich anzusehen. Seine starken Schultern zitterten, während ihm eine Träne übers Gesicht lief.
»Es tut mir leid, Spike.«
Er gab keine Antwort, sondern rückte beiseite, damit die Sanitäter an die Verletzte herankonnten.
»Wer ist die Verletzte?«, fragte der Polizist. »Und wer sind
Sie eigentlich?«
»SpecOps«, sagten Spike und ich gleichzeitig. Dann zeigten
wir unsere Ausweise.
»Und das ist Cindy Stoker«, sagte Spike traurig. »Eine Berufskillerin namens Windowmaker – und außerdem meine
Frau.«
35.
Was Thursday als Nächstes tat
Mr Yorrick Kaine gab gestern Pläne zum Bau eines Abwehrschilds gegen die wachsende Bedrohung durch den Zorn
Gottes bekannt. Die Einzelheiten sind noch streng geheim,
aber internationale Spitzentheologen und Verteidigungsexperten sind sich einig, dass der Bau des Systems nicht mehr
als fünf Jahre beanspruchen müsse.
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