04_Es ist was Faul
Hangars
D waren fest geschlossen, aber in der Nähe eines weitaus kleineren Seiteneingangs entdeckte ich einen schwarzen Mercedes.
Ich hielt in einigem Abstand und stellte die Scheinwerfer und
den Motor ab. Dann zog ich die Automatic heraus und ersetzte
das Magazin. Statt der üblichen Munition nahm ich ein Magazin mit Radierern. Fünf Original-Eraserheads. Mehr hatte ich
nicht aus der BuchWelt herausschmuggeln können. Dann stieg
ich aus, blieb einen Augenblick stehen und lauschte.
Ich hörte nichts, und so machte ich mich leise auf den Weg
zum Seiteneingang des Hangars. Da die großen, über dreihundert Meter langen interkontinentalen Luftschiffe schon seit
langem nur noch in den deutschen Zeppelin-Werften gebaut
werden, befand sich nur ein relativ kleiner Sechzigsitzer in dem
kathedralengroßen Gebäude. Das Gitterwerk des Rumpfes war
zur Hälfte fertig. Tausende von filigranen Aluminium-Streben
waren zu Dreiecks-Trägern und großen Ringen zusammengeschraubt, in denen später die riesigen Behälter mit Helium Platz
finden würden. Im Prinzip war so ein Luftschiff eine ganz
einfache Sache, aber die technischen Einzelheiten sahen doch
sehr kompliziert aus. Ich sah mich um, aber von Kaine war
nichts zu sehen. Ich entsicherte meine Pistole.
»Kaine?«
Keine Antwort.
Ich hörte ein leises Geräusch und fuhr herum. Meine Waffe
zeigte auf eine halb fertige Motorgondel, die auf mehreren
großen Holzböcken ruhte. Ich verfluchte mich für meine Nervosität und wünschte gleichzeitig, ich hätte Commander Bradshaw bei mir. Dann spürte ich es. Oder ich roch es zumindest.
Ein schwacher Luftzug wehte den trägen Geruch des Todes in
meine Nüstern.
Aus den Augenwinkeln sah ich ein unbeschreibliches Ungeheuer aus den Schatten der Halle auftauchen und drückte ab.
Ich hörte den dumpfen Einschlag des ersten Radierers, und
dann wurde die Ausgeburt der Hölle zerlegt. Die Buchstaben,
aus denen sie bestanden hatte, rieselten um mich herum wie
Splitter einer explodierten Christbaumkugel.
Jemand klatschte müde in die Hände. Ich sah Kaine im
Schatten der Führergondel stehen, die ebenfalls noch im Bau
war. Ich zögerte keine Sekunde und schoss. Aber Kaine hatte
schon Deckung gesucht: Eine Nebenfigur, die er lässig herbeizitiert hatte, ein kleiner Mann mit runder Brille, wurde an seiner
Stelle von dem Radierer getroffen und zerfiel in seine Bestandteile. Kaine blieb ganz unberührt.
Jetzt trat er aus dem Schatten der Gondel ins Licht. Er war
keinen Tag älter geworden, seit ich ihn zuletzt gesehen hatte.
Seine Haut war makellos, und sein Scheitel war wie mit dem
Lineal gezogen. Nur die wirklich gut beschriebenen Figuren
konnte man von echten Menschen nicht unterscheiden, die
übrigen – und zu denen zählte auch Kaine – zeigten schematische Züge, die ihren fiktionalen Ursprung verrieten.
»Amüsieren Sie sich gut?«, fragte ich.
»O ja«, erwiderte er.
Er war ein B-Charakter in einer Super-A-Rolle. Er war weit
über seine Fähigkeiten hinausgewachsen – ein eitles Jüngelchen
war zum Herrscher eines ganzen Landes geworden. Ob er das
Goliath, dem Ovinator oder einfach seinen fiktionalen Wurzeln
verdankte, wusste ich nicht, aber eins war mir klar: Er stellte
sowohl für die wirkliche als auch für die BuchWelt eine Gefahr
dar. Jemand, der in der Lage war, nach Gutdünken Ausgeburten
der Hölle heraufzubeschwören, konnte nicht ignoriert werden.
Ich schoss erneut, und wieder geschah dasselbe. Die Figur
war eine andere – diesmal stammte sie aus einem Kostümdrama, glaube ich – aber mein Radierer traf wieder den Falschen.
Kaine benutzte Nebenfiguren als Schutzschilde. Unruhig sah
ich mich um. Ich hatte das Gefühl, in der Falle zu stecken.
»Sie vergessen«, sagte Kaine, während er mich mit seinen
unbeweglichen Augen anstarrte, »dass ich viele Jahre Zeit hatte,
um meine Fähigkeiten zu schulen. Es gibt genügend unbedeutende Nebenfiguren in Daphne Farquitts Romanen.«
»Sie Mörder!«
Er lachte. »Ach, Thursday! Eine fiktionale Gestalt kann man
doch gar nicht ermorden. Wenn das Mord wäre, säßen alle
Autoren längst hinter Gittern.«
»Sie wissen genau, was ich meine«, knurrte ich und ging auf
ihn zu. Wenn ich ihn packen und mit ihm in die Fiktion springen konnte, hatte ich so gut wie gewonnen. Aber das wusste
Kaine und blieb schön auf Abstand.
»Sie sind etwas lästig, wissen Sie«, sagte er. »Ich hatte gehofft,
der Windowmaker würde Sie ausschalten,
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