04_Es ist was Faul
dieses Geschöpf. Auch wir können von einem Tag
auf den anderen zu Schimären erklärt und auf die Liste der
Verbannten Geschöpfe gesetzt werden. Dazu braucht es noch
nicht einmal ein Gesetz.«
Wir wandten uns ab, als die beiden uniformierten Beamten
den Leichensack ausbreiteten und die tote Schimäre hineinschoben.
»Sie erinnern sich doch noch an Bowden Cable?«, fragte ich.
»Sie wissen, mein Partner bei LitAg.«
»Natürlich«, erwiderte Stiggins.
»Wie geht's Ihnen?«, fragte Bowden.
Stiggins starrte ihn mit leerem Blick an. Mit albernen
menschlichen Höflichkeiten gaben sich Neandertaler nicht ab.
»Uns geht es gut«, sagte Stig schließlich gequält, und man
merkte, wie lästig er das Ritual fand.
Bowden war es gar nicht bewusst, dass er Stiggins mit seinem
Sapiens-Gehabe nur unglücklich machte.
»Er meint es nicht so«, erklärte ich in der sachlichen Art, wie
Neandertaler sich gern unterhalten. »Wir brauchen Ihre Hilfe,
Stig.«
»Dann gebe ich sie Ihnen gerne, Miss Next.«
»Was meinen Sie mit Er meint es nicht so?«, fragte Bowden,
während wir zu einer Bank am Rande des Platzes gingen.
»Das erkläre ich Ihnen später.«
Stig setzte sich und sah zu, wie ein weiterer Landrover von
SO-13 und zwei gewöhnliche Streifenwagen auftauchten, deren
Besatzungen die inzwischen deutlich angewachsene Zuschauermenge zerstreuten. Er zog ein sorgfältig eingewickeltes
Lunchpaket heraus und breitete zwei wurmstichige Äpfel, eine
Tüte mit lebenden Käfern und ein Stück rohes Fleisch vor sich
aus.
»Mögen Sie auch einen Käfer?«
»Nein, danke.«
»Na, was können wir tun für euch LitAgs?«, fragte er und
versuchte einen Käfer zu essen, der das nicht wollte und zweimal um Stigs Hand gejagt werden musste, ehe er im Mund des
Neandertalers verschwand.
»Was halten Sie davon?«, fragte ich, als Bowden ihm ein Foto
des Shaxtper-Kadavers zeigte.
»Das ist ein toter Mensch«, sagte Stig. »Sind Sie sicher, dass
Sie keinen Käfer möchten? Sie sind wirklich sehr knusprig.«
»Nein, danke. Und was halten Sie davon?«
Bowden reichte ihm ein weiteres Foto eines toten Shakespeare-Klons, und dann noch eins.
»Ist das derselbe? Aus einem anderen Blickwinkel?«
»Nein, es handelt sich um drei verschiedene Leichen.«
Der Neandertaler hörte auf, an der ungekochten Lammkeule
zu kauen, und starrte mich an. Dann wischte er sich die Hände
an einem großen Tuch ab und betrachtete die Bilder genauer.
»Wie viele?«
»Wir wissen von achtzehn.«
»Ganze Menschen zu klonen war immer illegal«, murmelte
Stig. »Können wir uns die Leichen mal in der Realität ansehen?«
Das gerichtsmedizinische Institut war nur ein paar Schritte vom
SpecOps-Hauptquartier entfernt. Es war ein altes viktorianisches Gebäude, das in einem aufgeklärteren Zeitalter sicher
abgelehnt worden wäre, und roch nach Formaldehyd und
Feuchtigkeit. Die Angestellten sahen alle unglücklich aus und
hatten vermutlich Hobbys, über die ich lieber nichts Näheres
wissen wollte.
Der melancholische Chefpathologe, Mr Rumplunkett, sah
Stiggins mit einer gewissen Gier an. Da Neandertaler nicht als
Menschen galten, kamen sie auch nicht ins Leichenschauhaus.
Die Ermordung eines Neandertalers galt formal nicht mal als
Verbrechen, und so fanden Autopsien nicht statt. Aber Mr
Rumplunkett war von Natur aus ein neugieriger Mann. Er sagte
nichts, aber Mr Stiggins wusste genau, was er dachte.
»Wir sind im Inneren ziemlich genau so wie Sie, Dr Rumplunkett«, sagte er. »Das war ja der Hauptgrund, weshalb wir
geklont worden sind.«
»Bitte entschuldigen Sie«, sagte der Chefpathologe verlegen.
»Es tut mir sehr leid.«
»Nein, keineswegs«, erwiderte Stig. »Ihr Interesse ist ausschließlich beruflicher Natur und steht im Dienst der Wissenschaft. Wir sind nicht beleidigt.«
»Wir würden uns gern Mr Shaxtper ansehen«, erklärte Bowden.
Wir wurden in die Haupthalle des Leichenschauhauses geführt, wo mehrere Leichen mit Zetteln an den Zehen unter
großen Leintüchern aufgebahrt lagen.
»Ein bisschen voll hier«, sagte Mr Rumplunkett, »aber zum
Glück beschweren die Kunden sich nicht. Meinen Sie den
hier?« Er zog eins der Laken zurück. Der Leichnam hatte eine
sehr hohe, gewölbte Stirn, tief liegende Augen, einen Schnurrbart und ein kleines Kinnbärtchen. Er sah weitestgehend so aus
wie der William Shakespeare auf dem Kupferstich von Droeshout auf dem Titelblatt der ersten Folio-Ausgabe.
»Was meinen Sie?«
»Na
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