04 - Geheimagent Lennet und der Satellit
ihrem Rokoko-Schreibtisch thronte.
»Na endlich!« krächzte sie. »Höchste Eisenbahn! Die Meldungen, die die Russen durchgeben, werden immer technischer. Ich verstehe keine Silbe mehr. Na, hat die kleine Schönheit Schwierigkeiten gemacht? Ich hoffe, unser Freund Jean-Jacques hat seine Rolle gut gespielt?«
»Nicht schlecht, nicht schlecht", versicherte Onkelchen Olivier.
»Aber erlauben Sie mal", unterbrach ihn Lennet empört. »Ich finde, daß ich sie sogar ganz ausgezeichnet gespielt habe. Das hätte ich mir nie zugetraut! Anscheinend bin ich für diese Laufbahn geboren!« Madame Schasch betrachtete ihn belustigt.
»Wie ein junger Hahn auf seinem ersten Misthaufen.
Kikerikiii! Kikerikiii! Nun legen Sie Ihre Eroberung schon auf den Boden, Huc. Ich hoffe, Sie sind mit dem Chloroform sparsam umgegangen. Wir brauchen die junge Dame nämlich dringend.«
»Wie kriegen wir sie denn am besten wach?« erkundigte sich Lennet.
»Ganz einfach, mit Riechsalz und ein paar Ohrfeigen", versetzte Madame Schasch leichthin.
Ein Fläschchen Riechsalz stand bereits auf dem Tisch. Was die Ohrfeigen betraf, so schritt die Chefin des BIDI höchstpersönlich zur Tat. Dabei - und das darf man mit gutem Gewissen behaupten - ging sie nicht gerade sanft vor. Schon nach der zweiten Ohrfeige schlug Nikky ihre großen Kinderaugen auf. Das erste, was sie sah, war Madame Schaschs nicht gerade Vertrauen einflößendes, faltiges, geschminktes Gesicht, das sich über sie beugte.
»Na, meine Süße, hast du lange genug die schöne Ohnmächtige gespielt? Aufgestanden, aber etwas hoppla, wir haben keine Sekunde zu verlieren.«
Nikky, die das Ganze für einen Alptraum halten mußte, schloß die Augen erneut. Doch die dritte Ohrfeige ließ nicht auf sich warten.
»Aufgestanden, habe ich gesagt. Ich werde kein langes Federlesen mit Ihnen veranstalten. Schließlich bin ich schon mit ganz anderen fertig geworden!« Huc gluckste vor Vergnügen. Olivier seufzte voll schlecht gespieltem Mitleid. Lennet hätte am liebsten allen dreien den Hals umgedreht.
Nikkys Unterlippe begann zu zucken.
»Seien Sie doch bitte nicht so grob zu mir", stammelte das junge Mädchen. »Ich bin das nicht gewöhnt.«
»Dann werden Sie sich eben daran gewöhnen müssen", war Madame Schaschs ungerührte Antwort. »Bei uns hier sind alle grob. Das werden Sie bald merken. So, und nun stehen Sie auf.«
Nikky gehorchte, ohne die alte Dame auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen.
»Wer sind Sie? Wohin hat man mich gebracht?«
»Je eher Sie das erfahren, meine Kleine, desto besser. Sie befinden sich in der Zentrale des BIDI, der Internationalen Organisation für Industriedokumente, deren Chefin zu sein ich die Ehre habe. Meine Leute haben sie entführt, weil ich Ihre Dienste benötige. Wenn Sie mir diese Dienste zu meiner vollen Zufriedenheit erweisen, dann bin ich geneigt, Sie wieder freizulassen. Sollten Sie mir aber Ihrerseits Unannehmlichkeiten bereiten oder sollten Ihre Berechnungen unbefriedigend ausfallen, dann sehe ich mich gezwungen, Sie zur weiteren Behandlung unserem guten Huc zu übergeben. Er pflegt seine Patienten mit viel Liebe... und mit einem kleinen Messer zu behandeln. Ist das klar?« Mit hängenden Armen stand Nikky in der Mitte des Zimmers.
In ihren Augen spiegelte sich helles Entsetzen.
»Ich habe Kopfschmerzen", stammelte sie angstvoll.
»Das kommt vom Chloroform. Keine Angst, das geht wieder vorbei.«
Zum erstenmal gelang es Nikky, ihren Blick von Madame Schasch loszureißen. Ihre Augen wanderten zu Huc, zu Olivier, und blieben schließlich auf Lennet haften. Als sie ihn erblickte, schien sie eine Art Übelkeit zu befallen. Kein Wort gelangte über ihre Lippen. Aber ihr vorwurfsvoller Blick sprach Bände: Ich habe Ihnen vertraut, und Sie haben mich betrogen.
Sie wandte sich von ihm ab. Mit schüchterner Stimme fragte sie Madame Schasch: »Wenn ich richtig verstanden habe, dann sind Sie Spione?«
»Wirklich sehr intelligent!« rief Madame Schasch nicht ohne Spott. »Bravo, meine Kleine! Ja, wir sind Berufsspione. Noch mehr solche glänzenden Schlußfolgerungen, bevor Sie sich an die Arbeit begeben?«
»Ach bitte", entgegnete Nikky leise, »wie lange werde ich bei Ihnen bleiben müssen? Wenn ich morgen abend noch nicht zu Hause sein kann, dann rufen Sie doch bitte meine Mutter an und sagen ihr Bescheid. Sie ist nämlich herzleidend, wissen Sie, und wenn sie sich sorgt...«
»Pah!« ließ sich Olivier vernehmen. »Alle wollen sie
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