04 - Geheimagent Lennet und der Satellit
erklang Stimmengemurmel oder Musik. Im fünften Stock jedoch war alles ruhig.
Lennet stellte sich vor die rechte Tür, holte tief Luft und drückte dann beherzt auf den Klingelknopf. Das Geräusch, das jetzt ertönte, glich eher einem Summen als einem Klingeln.
Wenn Veronique Chevrot nun bei Freunden war? Nicht auszudenken! Die Treppenhausbeleuchtung verlosch.
Oben im sechsten Stock knarrte der Boden. Das war Huc, der seine hundertzehn Kilo verlagerte.
Lennet läutete ein zweites Mal.
Er glaubte ein Geräusch zu vernehmen. Lennets Entschluß stand fest. Wenn Fräulein Chevrot Telefon hatte, dann würde er den SNIF unverzüglich verständigen. Wenn sie kein Telefon hatte, dann mußte er - Lennet - seine Rolle beim BIDI noch einige Zeit weiterspielen.
Dann öffnete sich die Tür...
Lennet zuckte zusammen, als ihn plötzlich eine Frauenstimme - beinahe noch eine Kinderstimme - fragte: »Wer ist da?« Ohne zu zögern antwortete er: »Professor Estienne schickt mich.«
Dann öffnete sich die Tür.
Auf der Schwelle erschien ein junges Mädchen in Morgenrock und Pantoffeln. Sie war klein, hatte rotbraunes Haar und große, braune Augen. Mit einer kindlichen Geste rieb sie sich den Schlaf aus den Augen.
Wahrscheinlich hatte Lennet sie aus dem tiefsten Schlummer gerissen.
»Ja bitte?« fragte sie ohne eine Spur von Mißtrauen. Dann kniff sie die Augen etwas zusammen, um Lennets Gesicht im Halbdunkel des Treppenhauses besser erkennen zu können.
»Veronique Chevrot?« fragte Lennet.
»Ja, das bin ich.«
Sie mußte gähnen.
»Entschuldigen Sie, aber ich habe schon geschlafen...«
»Aber nein, ich muß mich entschuldigen, daß ich Sie zu so später Stunde störe. Wir haben versucht, Sie telefonisch zu verständigen...«
Dieser Satz war im Plan nicht vorgesehen. Hoffentlich wurde Huc nicht mißtrauisch. Doch dieses Risiko mußte Lennet schon auf sich nehmen.
»Komisch, dabei weiß doch jeder, daß ich kein Telefon habe...«
Sie gähnte noch einmal. Rasch hielt sie sich die Hand vor den Mund. Lennet fand, daß sie entzückend aussah, wie sie da so natürlich und ungezwungen vor ihm stand.
»Eben, wir konnten Sie auch im Telefonbuch nicht finden, und darum...«
Er plauderte absichtlich ein bißchen mehr als geplant, um möglichst unbefangen zu wirken.
»Und darum hole ich Sie nun ab.«
Erstaunt sah sie ihn an. Lennet erklärte: »Professor Estienne braucht dringend Ihre Hilfe. Er hat einen neuen, sowjetischen Satelliten entdeckt.«
Fräulein Chevrot lächelte milde.
»Ganz schön lästig, die Russen, finden Sie nicht auch? Jedesmal wenn sie irgend etwas in die Luft schießen, müssen wir Überstunden machen. Treten Sie doch ein. Sie müssen sich einen Moment gedulden. Ich bin gleich angezogen.«
Sie trat zurück, um Lennet einzulassen. Dann schloß sie die Tür hinter ihm.
»Nehmen Sie Platz. Ich bin sofort fertig.«
Lennet wartete in einem altmodischen Salon voller Porzellan und vergilbten Familienfotos. Ihre Schritte entfernten sich in Richtung eines der hinteren Zimmer. Lennet trat ans Fenster. Es ging auf die Straße. Unten wartete der 403 mit Standlicht.
Was konnte er tun? Fräulein Chevrot alles gestehen? Schreien? Die Nachbarn zusammentrommeln? Wie lange würde Huc mit seinem Dietrich brauchen, um die Tür aufzukriegen? Bestimmt nicht solange, bis die Polizei erschien. Huc würde Zeit genug haben, in die Wohnung einzudringen und seines Amtes zu walten. Er hatte sicherlich eine Waffe bei sich. Lennet war unbewaffnet. Vielleicht hatte Fräulein Chevrot eine Waffe? Das war nicht sehr wahrscheinlich.
Sollte er anderseits das junge Mädchen weiter belügen? Voll blindem Vertrauen würde sie ihm in die Falle BIDI folgen! Was für ein gemeiner Betrug! Doch ihm blieb keine Wahl. Es stand im Interesse seiner Mission und auch im Interesse von Fräulein Chevrot, daß er jetzt keinen Fehler beging.
Lächelnd trat sie in den Salon. Sie trug ein dunkelblaues Kostüm, das ihr ganz entzückend stand.
»Tut mir leid, daß ich Sie so lange warten ließ. Jetzt stehe ich Ihnen zur Verfügung. Ich habe Mama gleich Bescheid gesagt, daß sie mich nicht vor morgen abend zurückzuerwarten braucht.
Ich kenne sie ja zur Genüge, die russischen Satellitenstarts.
Arbeiten Sie auch bei uns im Institut?« Statt einer Antwort machte Lennet zwei rasche Schritte auf sie zu und ergriff ihre Hände. Sie ließ es sich gefallen, schien aber einigermaßen überrascht. Eine tiefe Falte stand zwischen ihren
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