04 - Herzenspoker
Frieden?«
»Ich
kann leider nicht.«
»Sie
wollen mich am Leben erhalten, nehme ich an. Dann ... bringen Sie mich
heim!«
»Sie
zittern ja«, sagte Lord Guy. »Es ist ganz erstaunlich, wie ein erhitztes
Temperament die Temperatur fallen lässt.«
»Ich
bin nicht wütend«, sagte Esther. »Ich will aus diesem Nebel weg.«
»Das
sollen Sie auch. Wir werden uns in eine Schenke oder ein Kaffeehaus begeben und
herausfinden, wo wir sind.«
Esther
versuchte, sein Gesicht zu erkennen, aber der Nebel war so dicht, dass sie
feststellen musste, dass sie genausogut blind; sein könnte.
»Sind
Sie ganz sicher, dass Sie den Weg nicht kennen?« fragte sie.
»Bei
meiner Ehre. Von links kommen Geräusche. Lassen Sie uns dahin gehen.«
Unmittelbar
vor ihnen tauchte plötzlich geisterhaftes Lampenlicht auf.
»Da
hinein«, sagte er.
Esther
schrak zurück. »Ich kann nicht in eine gewöhnliche Schenke gehen, Mylord.«
»Dann
wollen wir hoffen, dass es eine ungewöhnliche ist, denn ich kann in diesem
Nebel nicht mehr viel länger herumlaufen.«
Lord
Guy führte Esther in einen dunklen, nebligen Schankraum. In einer Ecke saßen
zwei Männer, die wenig vertrauenerweckend aussahen, offensichtlich aber schon
halb schliefen; außer ihnen waren keine anderen Gäste da.
Sie
setzten sich nebeneinander auf eine Bank vor das Kaminfeuer. Der Wirt kam herbeigeeilt.
»Wo sind wir?« fragte Lord Guy.
»Sie
sind im George Yard, Sir, in der Nähe von Long Acre, Sir.
»Oh,
was sind wir gelaufen! Bringen Sie mir die Zutaten für einen Punsch.«
»Ich
möchte lieber eine Limonade«, sagte Esther nach ein paar Augenblicken der
Stille.
»Der
Punsch wird Sie aufwärmen«, meinte er.
»Der
Punsch könnte mich betrunken machen.«
»Das
würde ich gern sehen - die Auflösung des steinernen Antlitzes von Miß
Jones.«
»Ich
habe kein steinernes Antlitz!«
»Doch.
Genau wie eine Statue, bis hin zu dem Rußfleck auf Ihrer Nase.«
Esther
stieß einen bekümmerten Laut aus. Sie zog einen Stahlspiegel aus ihrem Beutel
und betupfte ihre Nase mit einem Taschentuch.
»Erlauben
Sie«, sagte er sanft. Er nahm ihr das Taschentuch aus der Hand und legte einen
Finger unter ihr Kinn, um ihren Kopf aufzurichten. Dann rieb er den Rußfleck
weg und lächelte dabei in ihre großen Augen. Ihre Lippen, stellte er fest,
waren sehr weich und rosig. Er erinnerte sich, wie sie sich angefühlt hatten,
als er sie im Park geküsst hatte. Die Erinnerung daran schimmerte in seinen
Augen, und Esther entzog sich ihm ruckartig, als der Wirt mit einem Tablett mit
zwei Zitronen, einem Viertelliter Rum, einem Viertelliter Brandy, einem
Viertelpfund Zucker, einem halben Teelöffel Muskatnuss, einem Kessel mit heißem
Wasser und einem großen Gefäß kam.
»Wollen
Sie, dass ich ihn mache?« fragte er, aber Lord Guy winkte ab.
Esther
beobachtete, wie er den Punsch bereitete. Zuerst rieb er die Zuckerstücke so
lange an den Zitronenschalen, bis sie gelb waren. Er schien vollkommen in diese
Aufgabe vertieft zu sein. Und sie hatte Zeit, ihn genau zu betrachten: den
humorvollen Schwung seines Mundes, die aristokratische Nase und den Glanz
seines goldenen Haares. Obwohl er bemerkenswert frisch und gepflegt wirkte, als
sei er gerade aus den Händen seines Kammerdieners und nicht aus dem Londoner
Nebel gekommen, redete sie sich ein, dass er verlebt aussah. Keiner konnte das
Leben führen, das er geführt hatte, ohne dass es ihn bis in die Seele hinein verdorben
hätte. Ihre Lippen kräuselten sich vor Ekel, und in diesem Augenblick schaute
er sie neugierig an.
»Sie
sitzen mit einer Miene da, dass ich mir vorkomme wie ein Stück faules Fleisch«,
sagte er. »Rieche ich so schlecht?«
»Ich
habe an Ihre unsterbliche Seele gedacht, Mylord.«
»Irren
ist menschlich, vergeben göttlich, Miß Jones, oder haben Sie das vergessen?«
Sie presste
ihre Lippen zu einer missbilligenden Linie zusammen und antwortete nicht.
Als er
mit der Zubereitung des Punsches fertig war, reichte er ihr ein Glas. Esther
nippte vorsichtig daran, aber es schmeckte süß und roch köstlich und merkwürdigerweise
ganz harmlos.
»Warum
leben Sie das ganze Jahr in der Hauptstadt?« fragte er.
»Ich
mag das Land nicht.«
»Warum,
bitte?«
»Wie
viele Fragen Sie stellen«, seufzte Esther, als er ihr das Glas nachfüllte. »Ich
mag die Stadt, weil hier alles geordnet und gezähmt ist. Man kann anonym
bleiben. Auf dem Land klatscht jeder über jeden, und jeder kennt die
Angelegenheiten des anderen.«
»Da
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