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04 - Herzenspoker

04 - Herzenspoker

Titel: 04 - Herzenspoker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Chesney
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des Lebens um jeden Preis zu genießen.
Die Dandys, angeführt von ihrem König, Mr. George Brummell, saßen in den Clubs
von St. James' und überboten einander an Witzeleien, die normalerweise in
schrecklichen Wortspielen bestanden; jetzt saßen sie da und unterhielten sich
stundenlang, ohne auch nur einen Schimmer von Humor, über die neueste Mode.
    Die
ungeschriebenen Gesetze der Gesellschaft wurden strenger. Die Snobs gaben den Ton
an, und jedermann war bemüht, vor ihren Augen zu bestehen. Söhne schnitten in aller
Öffentlichkeit ihre Mütter, wenn sie glaubten, an ihrer Erscheinung auch nur
den geringsten Makel zu entdecken; Töchter versuchten sich umzubringen, wenn
sie keine Eintrittskarten für die berühmten Abendgesellschaften in den Räumen
des Almack bekamen.
    Vielleicht
hätte Lord Guy seine nicht ganz ernst gemeinte Bemerkung, dass seine Diener
einem Stamm ähnelten, lieber auf seine Standesgenossen anwenden sollen. Esther
betrat jedenfalls eine Welt der Totems und Tabus, und sie hatte davon etwa so
viel Ahnung wie ein Eroberer zu Zeiten Königin Elisabeths I., der zum ersten
Mal auf einen Indianerstamm traf.
    Wegen
des skandalösen Lebenswandels ihres Vaters, hatte Esther auf dem Lande sehr
zurückgezogen gelebt, sie wußte daher nichts von den Gepflogenheiten der Gesellschaft.
Miß Fipps war auf so viel Unkenntnis nicht vorbereitet. Sie war daran gewöhnt,
dass die Damen die Kunst, sich in Gesellschaft richtig zu benehmen, sozusagen
mit der Muttermilch einsogen.
    Dass
Esther eine Opernaufführung von Beginn an sehen wollte, war in Miß Fipps' Augen
nur eine harmlose Laune.
    Als
sich deshalb der furchtbare Nebel verzogen hatte und über dem rußbedeckten
London ein sonniger Himmel stand, machten sich die beiden Damen in die Oper
auf. Die Luft war wie frühlingsmild, und ihre elegante, modische Aufmachung gab
ihnen ein beruhigendes Gefühl der Sicherheit.
    Esther
trug ein weißes Satinkleid, das mit »natürlichen« Blumen bemalt war. Auf ihrem
Kopf saß ein neuer, mit Amethysten bestückter Stirnreif, da Miß Fipps gesagt
hatte, Diamanten seien »fehl am Platze, meine Liebe«. Sie hatte sich die
leuchtend roten Haare so kurz schneiden lassen, dass sie ihren Kopf wie eine
Kappe umgaben. Sie fragte sich, ob Lord Guy über ihren Haarschnitt ärgerlich
sein würde, aber dann dachte sie wütend, dass es doch keine Rolle spielte, was
er davon hielt.
    Miß
Fipps trug einen Reifrock mit Schleppe aus schottischem Musselin, der an den
Seiten durch Goldschließen zusammengehalten wurde. Zu ihrer Erleichterung,
hatte Esther sie nur milde dafür getadelt, dass sie das Geheimnis ihrer
Verwandtschaft mit Lord Guy bewahrt hatte. Miß Fipps war Esther nun mehr denn
je ergeben, hatte aber Lord Guy dennoch eine Botschaft geschickt, dass sie ins
Opernhaus gehen wollten.
    Esther
war enttäuscht über die Oper, die Die Rache des Harlekins hieß und von
einem Mr. Dyer im »italienischen Stil« geschrieben war. Es war ein dümmliches,
sinnloses Stück, und Esthers Aufmerksamkeit wandte sich dem Publikum zu.
    »In den
Mittellogen sitzen zahlreiche Damen ohne Begleitung«, flüsterte sie Miß Fipps
zu.
    »Freudenmädchen«,
sagte Miß Fipps. »Schauen Sie nicht hin. Oh, da sind Mr. Brummell und Lord
Alvanley, und das ist interessant, da kommt gerade Lord Petersham herein. Er
hat so viele Sorten Schnupftabak, wie das Jahr Tage hat.«
    Aber Esthers
Blicke wanderten schon wieder zu den Prostituierten. Hätte Miß Fipps ihr nicht
gesagt, wer sie waren, so hätte sie sie für Damen der eleganten Welt gehalten.
In einer Epoche, in der die Frauen weniger denn je auf dem Leib trugen, dafür
aber umso
mehr
Puder und Rouge im Gesicht, gab es kaum noch Unterschiede zwischen den Damen in
den Seitenlogen und den Damen in den Mittellogen.
    Und
dann sah sie das kleine Drama, das sich in, einer der Mittellogen abspielte.
Sie hob ihr Opernglas. Was dort vorging, war fesselnder als die Aufführung auf
der Bühne.
    Ein
junges Mädchen in einem hübschen weißen Musselinkleid saß in einer der
Mittellogen in Tränen aufgelöst da. Sie sah aus wie etwa sechzehn. Sie hatte
dicke blonde Haare und einen Teint, dessen Makellosigkeit nicht auf Puder und
Farbe beruhte. Ihre, Augen waren groß und braun, ihre Figur gut geformt. Ihr
Busen war Üppig, und ihr Kleid so weit ausgeschnitten, dass es ihre Reize nicht
verbarg. Sie bedeckte ihren Ausschnitt ständig mit einem Arm, aber die ältere
Frau mit dem harten Gesicht, die neben ihr saß, zog ihr den Arm

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