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04 - Herzenspoker

04 - Herzenspoker

Titel: 04 - Herzenspoker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Chesney
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immer wieder
herunter und beschimpfte sie. Dem Mädchen rannen Tränen übers Gesicht, ohne
ihre Augen zu röten.
    Esther
stieß Miß Fipps mit dem Ellbogen an. »Die kleine Schönheit«, sagte sie und
deutete mit dem Kopf auf die Mittelloge, »kann keine Prostituierte sein. Sie
sieht viel zu unschuldig aus.«
    Miß
Fipps warf einen welterfahrenen Blick in dieselbe Richtung und seufzte. »Sie
ist - in diesem Augenblick. Frisch vom Land gekommen, nehme ich an.«
    »Meinen
Sie, sie ist die Tochter dieser schrecklich aussehenden Frau?«
    »Nein,
nein«, meinte Miß Fipps, »das ist eine Kupplerin.« Und als sie den fragenden
Ausdruck in Esthers Gesicht sah, erklärte sie: »Die Besitzerin eines Bordells.
Sie müssen wissen, dass sie an den Agenturen herumstehen und nach Dienstmädchen
Ausschau halten, die frisch vom Land kommen. Sie versprechen den Mädchen eine
Stellung und setzen ihnen dann mit Zuhältern zu. Das Mädchen wird aber nicht
verführt, denn das würde ihren Wert schmälern. Sie wird hierher gebracht und
zur Schau gestellt. Noch ehe der, Abend zu Ende ist, wird ein Herr einen hohen
Preis für sie geboten haben.«
    »Aber
das muss man verhindern!« sagte Esther entsetzt. »Das verstößt gegen alle
Gesetze ...«
    »Es
gibt keine Gesetze für solche wie sie«, sagte Miß Fipps.
    Esther
saß da und biß sich vor Kummer auf die Unterlippe. Miß Fipps machte sich
allmählich Sorgen. Sie wünschte, Lord Guy würde endlich kommen. Es war äußerst
seltsam von Esther, sich über das Schicksal eines künftigen Freudenmädchens
Gedanken zu machen. Es gab überall Freudenmädchen; man konnte keinen Schritt
tun, ohne über eines zu stolpern. Aber für eine Lady waren sie Luft.
    Weil
London noch die gleichen Polizeibehörden wie zu Zeiten Shakespeares hatte,
blieben östlich von St. James' unglaublich viele Verbrechen unaufgeklärt. Die
polizeiliche Überwachung war vollkommen wirkungslos, ein unbrauchbares Sammelsurium
von Gemeindebeamten, Gemeindedienern, Schutzleuten, Wachen und Straßenwärtern.
Sie war in ihrer hergebrachten Organisation hoffnungslos überholt, da sie für
einzelne Gemeinden, aber nicht für eine Großstadt, deren Bevölkerung fast eine
Million betrug, geplant war. Die mächtigste Behörde, die für die eigentliche
City von London zuständig war, bestand nur aus etwa fünfundvierzig Mann, die
zwei Polizeidirektoren unterstanden. Die berühmte Bow Street, deren Detektive
hauptsächlich auf Patrouille gingen, hatte nur ein paar Männer mehr zur
Verfügung als die andern Londoner Polizeibehörden, die aus acht bis zwölf
Polizisten bestanden. Die Macht von Gesetz und Ordnung hörte fast unmittelbar
jenseits der Grenzen der Wohngebiete der Oberschicht auf und war in den
Hunderten von Gässchen und schmalen, schlecht erleuchteten Straßen, die den
Großteil Londons ausmachten, kaum feststellbar. Das Mädchen in der Mittelloge
weinte immer heftiger.
    Esther
spürte, wie ihr vor Mitleid selbst die Tränen in die Augen stiegen.
    »Und
wartet sie wie eine Kuh bei einer Versteigerung darauf, dass ein Herr die Loge
betritt und sie kauft?« fragte sie.
    »Ich
nehme an, sie wird in der zweiten Pause ins Foyer gebracht und dort zur Schau
gestellt«, meinte Miß Fipps.
    Zu
ihrer Erleichterung schien Esthers Interesse an dem Mädchen nachzulassen. Aber
Miß Fipps machte sich immer noch Gedanken darüber, dass ihr Cousin nicht
erschien.

    Joseph war in tiefe
Ungnade gefallen. Wenn ihn Manuel jetzt mit einem Stilett angegriffen hätte,
wäre keiner im geringsten überrascht gewesen.
    Lord
Guys feine Leinenwäsche wurde in der Küche gewaschen, und Mrs. Middleton war
stolz auf die Arbeit, die Jenny und Alice verrichteten. Die Bettwäsche und die
Handtücher aus grobkörnigem Leinen brachten sie der Waschfrau, wenn sich genug
angesammelt hatten, aber die Hemden und Halsbinden wurden in Nr. 67 gewaschen,
gestärkt und gebügelt.
    Joseph
war auf einen rostigen Nagel getreten, der durch die dünne Sohle seines Schuhs
gedrungen war. Er befürchtete eine Infektion und bat Angus, ihm einen Topf
Wasser abzukochen. Nun hatte aber Alice einen großen kupfertopf voll Wasser zum
Kochen aufgesetzt, weil sie Lord Guys Halsbinden waschen wollte. Dann war sie
nach oben gegangen, um die Betten abzuziehen. Während sie weg war, hatte
Joseph, der die Halsbinden nicht sah und dachte, das Wasser sei für seinen Fuß,
ein gehörige Menge Pottaschen-Permanganat-Kristalle hineingeschüttet.
    Als er
den Topf vom Feuer nahm, um seinen Fuß

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